Der herkunfts- oder muttersprachliche Unterricht (HSU; in der Schweiz HSK, Unterricht in Heimatlicher Sprache und Kultur) spielt eine wichtige Rolle für die identitäre und sprachliche Entwicklung und für die Pflege der Mehrsprachigkeit als einer wertvollen persönlichen und gesellschaftlichen Ressource. Über diese Tatsache sind sich Forschung und Rahmenrichtlinien wie die Empfehlungen des Europarats R(82)18 und R(98)6 schon länger im Klaren. Trotzdem findet dieser Unterricht gegenüber dem Regelunterricht noch immer unter meist erschwerten Umständen statt. Verantwortlich dafür sind verschiedene Gründe:


  • Der herkunftssprachliche Unterricht steht vielerorts institutionell und finanziell auf schwachen Beinen. In der Schweiz etwa ist die Bezahlung der HSK-Lehrer/innen beinahe überall Sache der Herkunftsländer oder sogar der Eltern.

  • Der herkunftssprachliche Unterricht ist meist schlecht mit dem Regelunterricht vernetzt; Kontakte zu und die Kooperation mit den Lehrpersonen des Regelunterrichts sind oft sehr schwach entwickelt.

  • Der herkunftssprachliche Unterricht findet meist an bloß zwei Stunden pro Woche statt, was ein aufbauendes, kontinuierliches Arbeiten erschwert.

  • Der herkunftssprachliche Unterricht ist meist freiwillig, die Verbindlichkeit für die Schüler/innen ist nicht sehr hoch.

  • Der herkunftssprachliche Unterricht findet in aller Regel als Mehrklassenunterricht statt, an dem gleichzeitig Schüler/innen von der 1. bis zur 9. Klasse teilnehmen. Dies verlangt von den Lehrpersonen ein hohes Maß an Binnendifferenzierung und didaktischem Geschick.

  • Die Heterogenität der Schülerschaft im herkunftssprachlichen Unterricht ist auch hinsichtlich der Sprachkompetenzen der Schüler/innen außerordentlich groß. Während einige von zu Hause gute Kompetenzen in der Dialekt- und Standardvariante der Erstsprache mitbringen, sprechen andere diese nur im Dialekt. Bei vielen, die bereits in der zweiten oder dritten Generation im neuen Land leben, ist inzwischen die dortige Sprache (z. B. Deutsch) zur starken Sprache geworden, während sie die Erstsprache bloß in der dialektalen Variante, ausschließlich mündlich und mit einem auf familiäre Themen beschränkten Wortschatz beherrschen.

  • Die Lehrer/innen des herkunftssprachlichen Unterrichts haben zwar in aller Regel in ihren Herkunftsländern eine gute Grundausbildung genossen, sind aber keineswegs auf die Realität und Spezifik des Unterrichts in Mehrklassenschulen in der Migration vorbereitet. Weiterbildungsmöglichkeiten in den Einwanderungsländern bestehen meist nur in ungenügendem Ausmaß.

Die Reihe «Materialien für den herkunftssprachlichen Unterricht» unterstützt die Lehr­personen des herkunftssprachlichen Unterrichts in ihrer wichtigen und anspruchsvollen Aufgabe und will damit einen Beitrag zu einer optimalen Qualität dieses Unterrichts leisten. Diesem Ziel dient einerseits die Vermittlung von Hintergrün­den und Prinzipien der in den west- und nordeuropäischen Einwanderungsländern aktuellen Pädagogik und Didaktik (vgl. den Grundlagenband), andererseits die Vermittlung konkreter und praxistauglicher unterrichtlicher Anre­gungen und Modelle in den Heften «Didaktische Anregungen». Einen Schwerpunkt bildet dabei die Förderung sprachlicher Kompeten­zen. Bei den didaktischen Anregungen wird bewusst auf Prinzipien und Verfahren zurückge­griffen, die den Schüler/innen vom Regelunterricht und von dessen Lehrmitteln her vertraut sind. Damit sollen herkunftssprachlicher und Regelunterricht einander im Sinne einer möglichst großen Kohärenz angenähert werden. Indem die Lehrpersonen des herkunftssprachli­chen Unterrichts didaktische Ansätze und konkrete Verfahren kennenlernen, die im Regelunterricht der Schüler/innen aktuell sind, erfahren sie zugleich ein Stück Weiterbildung und hoffentlich eine Stärkung ihres Fundaments als gleichwer­tige Partner/innen im Bildungsprozess der bilingual-bi­kulturell aufwachsenden Schü­ler/innen.

Die Reihe «Materialien für den herkunftssprachlichen Unterricht» wird vom Zentrum International Projects in Education (IPE) der Pädagogischen Hochschule Zürich herausgegeben. Sie entsteht in enger Zusam­menarbeit zwischen schweizerischen und anderen westeuropäischen Fachpersonen einerseits und Expert/innen und Lehrpersonen des herkunftssprachlichen Unterrichts andererseits. Damit wird ge­währleistet, dass die vermittelten Informationen und Anregungen den tatsächlichen Gegeben­heiten, Bedürfnissen und Möglichkeiten des herkunftssprachlichen Unterrichts entsprechen und für diesen funktional und praxistauglich sind.


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