1. Renate Neubauer, Hazir Mehmeti: Das Projekt «Ateliers» der Europä- ischen Volksschule Goldschlagstrasse in Wien

Renate Neubauer stammt aus Österreich. Sie lebt seit 40 Jahren in Wien, wo sie seit 21 Jahren als Lehrerin tätig ist.

Hazir Mehmeti stammt aus Kosovo/Kosova. Er lebt seit 17 Jahren in Wien, wo er seit 1999 an verschiedenen Schulen als Lehrer des albanischen HSU arbeitet.

Unsere Schule liegt im fünfzehnten Wiener Bezirk. Wer Wien ein wenig kennt, weiß, dass der Gürtel die inneren (teureren) Bezirke von den äußeren, (etwas) günstigeren Wohngegenden trennt. Viele Migrant/innen nutzten die (schon lange nicht mehr bewilligten) Substandard-Wohnungen am Gürtel, wo das Wohnen vieler Personen auf engstem Raum die Miete bezahlbar macht. Unser Einzugsgebiet war daher immer vielsprachig. Um unseren Schulstandort attraktiv zu gestalten und eine Ghettobildung zu vermeiden, brauchten wir ein attraktives Angebot. So entstand das Konzept der «Europäischen Volksschule»: Ein English-Native-Speaker unterrichtet in den Klassen 3–5 Mal in der Woche Englisch als Arbeitssprache. Das Konzept bewährte sich. Englisch in der Volksschule hat interessierte Eltern aller Sprachen und sozialen Schichten gelockt und für eine Durchmischung gesorgt. Nach dem Wechsel der Leitung vor neun Jahren wurde unter der Führung der neuen Direktorin ein Schulentwicklungsteam gebildet. Dieses machte sich zur Aufgabe, nicht nur Englisch, sondern auch die vielen Muttersprachen unserer Schüler/innen in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken und die bestehenden Ressourcen besser zu nutzen.

In vielen Stunden entwickelte das Team zusammen mit den Kolleg/innen des muttersprachlichen Unterrichts den Plan von Sprachen-Ateliers, um allen Sprachen den gleichen Stellenwert zukommen zu lassen.

Nun war die Überlegung, was notwendig wäre, um die prestigeärmeren Migrationssprachen an das Image des Englischen heranzuführen. Zuerst müssten die Muttersprachen-Lehrer/innen allen Schülern bekannt sein. Daher stellen sich diese jedes Jahr den neuen Atelierklassen (2. Klassen) vor und präsentieren ihre Heimat, ein bisschen Kulturelles, machen Lust darauf, mehr zu erfahren. In diese Ateliers sind Kinder eingeladen, die nicht diese Sprache als Muttersprache haben.

Es geht also darum, Sprachen, die Mitschüler/innen sprechen, als Fremdsprache kennenzulernen, um damit der fremden Sprache das Fremde zu nehmen.

In den Klassen werden Mappen bereitgestellt, die dazu dienen, Material, Arbeitsblätter, Bilder, Liedertexte etc. zu sammeln und eine Erinnerung der besonderen Art zu bilden. Im Französisch-Atelier wurden z. B. Croissants gebacken und als Kostprobe an die Klassenkameraden gereicht. In der Mappe finden wir nur ein Bild der Köstlichkeit, aber der Duft wird beim Anblick des Fotos noch Jahre später präsent!

Wir haben sechs Wochen für einen Atelier-Durchgang veranschlagt. In diesen sechs Einheiten (à 1–2 Lektionen) lernen die Kinder den Klang der Sprache kennen, lernen zählen, grüßen, ein paar elementare Phrasen etc. Sie erfahren etwas über das Land, hören, wie seine Lieder klingen, und lernen vielleicht einen Kinderreim. Ganz sicher lernen sie jetzt nicht, die Sprache zu sprechen, das ist auch gar nicht das Ziel. Wir haben darüber diskutiert, ob wir für ernsthaft interessierte Kinder am Nachmittag einen Sprachkurs anbieten sollten, aber so wie es ausschaut, sind die Kinder zwar enorm an der Kultur, am Kennenlernen interessiert, können sich aber meist nicht für eine Sprache entscheiden, die sie jetzt systematisch lernen wollten.

Das Atelierangebot findet von der zweiten bis zur vierten Klasse jeden Donnerstagvormittag statt. Für die vierten Klassen wurden Kurse für Fortgeschrittene entwickelt, damit sie Neues mitnehmen, wenn sie ein Atelier noch einmal besuchen. Das Angebot der Sprachen richtet sich immer nach den Muttersprachen-Lehrer/innen, da wir als Lehrer/innen nur Native-Speakers haben möchten. Zurzeit bieten wir in den Ateliers folgende Sprachen an: Albanisch, Arabisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Spanisch, Portugiesisch, Tschechisch/Slowakisch, Türkisch, Ungarisch.

Nach jedem Durchgang gibt es ein Meeting der involvierten Lehrer/innen, in dem Fragen oder neue Ideen besprochen werden. Parallel dazu beschäftigt sich eine gemischte Arbeitsgruppe mit der Entwicklung eines Curriculums für die Ateliers, das v. a. für Neueinsteiger von Nutzen sein könnte.

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2. Schule Sunnadal, Karlskrona; Rizah Sheqiri: Das Projekt «Nicht ohne meine Sprache» der Schule Sunnadal und des Marinemuseums in Karlskrona/Schweden

Die Schule Sunnadal wird von rund 400 Schüler/innen vom Kindergarten bis zur 9. Klasse besucht, von denen der Großteil nicht Schwedisch als Muttersprache hat.
Link: https://www.karlskrona.se/sv/Grundskolor/Sunnadalskolan

Rizah Sheqiri stammt aus Kosovo/Kosova. Er lebt in Schweden und ist seit 1995 als Lehrer für den albanischen HSU in Karlskrona tätig.

«Nicht ohne meine Sprache» ist ein erfolgreiches Kooperationsprojekt zwischen der Schule Sunnadal (bei welcher der herkunftssprachliche Unterricht im Lehrplan fest integriert ist) und dem Marinemuseum in Karlskrona. Ziel des Projekts ist es, den Status der Muttersprachen durch verschiedene Formen des außerschulischen Lernens zu heben.

Als erstes Teilziel nahmen wir uns vor, «Mini-Touristenführer» für den Museumsbesuch in verschiedenen Sprachen auszubilden. Dadurch sollten sprachliche und kulturelle Brücken geschlagen werden und sollte die Kultur und Geschichte von Karlskrona auch Angehörigen anderer Kulturen (zuerst vielleicht den Familienangehörigen unserer Schüler/innen) in deren Sprache vermittelt werden können.

Dieses Konzept entwickelten vor allem die sechs beteiligten Lehrer/innen des HSU, die dann auch vorschlugen, dass der HSU mit den Museumspädagog/innen zusammenarbeiten solle. Gleichzeitig waren die HSU-Lehrer/innen ein wichtiges Bindeglied zwischen Schule, Museum und Elternschaft. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ließen sie sich zuerst selbst als Museumsführer/innen ausbilden und verfassten dann in den verschiedenen Sprachen eine Broschüre als Hilfsmittel für die Schüler/innen, die sich künftig als Mini-Museumsführer betätigen würden.

Interessant an diesem Projekt war und ist, dass es die Verwendung der Herkunftssprache in einen authentischen außerschulischen Kontext und in Beziehung zu einer wichtigen kulturellen Institution der Stadt stellt. Das Projekt ersetzt selbstverständlich den HSU-Unterricht (der in den regulären Stundenplan der Schule integriert ist) nicht; es stellt vielmehr eine Ergänzung und Aufwertung desselben dar.

Inzwischen sind allein von der albanischen Gemeinschaft rund 20 Schüler/innen zu «Mini-Museumsführer/innen» ausgebildet worden. Vier davon haben sich zusätzlich bei der albanischen Redaktion eines Museumsprospekts engagiert. Inhalte, Bebilderung und Design dieses Prospekts wurden zusammen mit den Schüler/innen anderer Gruppen und mit den schwedischen Kolleg/innen erarbeitet.

Das Projekt wurde von den Museumspädagog/innen, den HSU- und den schwedischen Lehrkräften überaus positiv evaluiert. Es trug, wie ein HSU-Lehrer sagte, maßgeblich zur besseren Vernetzung von Schule, Eltern, Stadt, kulturellen Institutionen und Inhalten und damit auch zur Integration allgemein bei.


3. Urs Loppacher, Nexhat Maloku: Ein Pionierprojekt: Die Gedichtsammlung «Leben ist die Bewegung der Vogelflügel …»

Urs Loppacher unterrichtete von 1975–1998 in der Sekundarstufe I im Zürcher Stadtkreis 5 in Klassen mit einem hohen Anteil von Schüler/innen aus Migrationsfamilien.

Nexhat Maloku stammt aus Gjilan (Kosovo/Kosova). Er lebt seit 1991 in Zürich, wo er seit 1992 als Lehrer für den albanischen HSU tätig ist.

Das hier beschriebene Projekt «Leben ist die Bewegung der Vogelflügel … Gedichte von Schülerinnen und Schülern in zehn Sprachen» ist ein Pionierprojekt der Kooperation zwischen herkunftssprachlichem und Regelunterricht in der Schweiz. Es stammt aus der glücklichen Zeit eines Schulversuchs in den 1990er-Jahren, bei dem im kulturell und sprachlich stark heterogenen Schulhaus Limmat A der herkunftssprachliche Unterricht während einiger Jahre fest in den Regelunterricht integriert war (vgl. die wissenschaftliche Evaluation im Internet unter «Integrierter Fachbereich – Kurse in heimatlicher Sprache und Kultur im Oberstufenschulhaus Limmat A»).

Alle Schülerinnen und Schüler der Oberstufe mussten in diesen Jahren den HSU in ihrer Herkunftssprache besuchen. Die Schweizer Schüler/innen besuchten einen Schweizer Kurs; für kleine Gruppen ohne eigenen HSU wurde ein internationaler Kurs geschaffen.

In jedem Schuljahr wurde in enger Zusammenarbeit zwischen Regelklassen- und HSU-Lehrer/innen mindestens ein gemeinsames interkulturelles Projekt durchgeführt. Dieses wurde dann den Eltern, allen Lehrpersonen und ab und zu auch der interessierten Öffentlichkeit präsentiert.

Im Schuljahr 1996/1997 lautete das Thema des Projekts «Gedichte schreiben». Die Schüler/innen verfassten Gedichte zuerst in ihrer Muttersprache, anschließend wurden diese mit Hilfe der Lehrpersonen ins Deutsche übersetzt.

Im Rahmen des Gedichte-Projektes kamen die erstsprachlichen Kompetenzen der Schüler/innen in vielfältiger Weise zum Einsatz: Gedichte lesen, über Gedichte sprechen, selber Gedichte schreiben. Vor allem aber haben die Schüler/innen erlebt, wie sie in ihrer Muttersprache differenziert Gefühle ausdrücken können, sie haben neue Wörter gelernt und gesehen, dass ihre Muttersprache eine wichtige und wertvolle Ressource ist.

Als besonders motivierender Schlusspunkt wurden die entstandenen Gedichte gesammelt und mit Hilfe einiger Sponsoren als schön gestaltete Publikation in einem richtigen Verlag herausgegeben. «Leben ist die Bewegung der Vogelflügel …» umfasst Gedichte aus elf Sprachen: Albanisch, Arabisch, Bosnisch, Deutsch, Italienisch, Portugiesisch, Schweizerdeutsch, Serbisch, Spanisch, Türkisch, Vietnamesisch – jeweils mit deutscher Übersetzung. Am Ende des Schuljahres wurde ein literarischer Abend organisiert, bei dem viele Eltern, Lehrpersonen und andere interessierte Kreise anwesend waren. Das Heft ist mittlerweile schon in dritter Auflage erschienen (Verlag Pestalozzianum, Zürich; ISBN 3-03755-044-9).

Das Projekt zeigt exemplarisch, zu welch wertvollen Produkten die Zusammenarbeit von Lehrer/innen des herkunftssprachlichen und des Regelklassenunterrichts führen kann. Was im Heft nur indirekt fassbar ist, sind die große Freude, das riesige Engagement und die gute Stimmung, die die ganze Arbeit an diesem wunderschönen Kooperationsprojekt prägten.


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