Claudia Neugebauer, Claudio Nodari


1. Einleitung

Das Thema «umfassende Sprachförderung» hat im Kontext des vorliegenden Buches drei Dimensionen:

  • Die schulische Wertschätzung der Mehrsprachigkeit und die Förderung des zwei- oder mehrsprachigen Aufwachsens der Schüler/innen. Vgl. zu diesem pädagogischen Postulat Kapitel 4.
  • Die Förderung der Kenntnisse der Schul- oder Landessprache des Einwanderungslandes. Die entsprechenden Kompetenzen sind entscheidend für die schulische Selektion, die Berufsperspektiven und die Integration im Einwanderungsland; sie sollen in möglichst allen Fächern gezielt und bewusst gefördert werden.
  • Bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund: die umfassende Förderung der Kompetenzen in der Erstsprache, mit dem Ziel einer ausgewogenen zweisprachigen Entwicklung im mündlichen und schriftlichen Bereich (Biliteralität). Ohne gezielte Förderung vor allem in der Schrift- und Standardvariante der Erstsprache würden viele dieser Kinder und Jugendlichen Analphabet/innen in ihrer Erstsprache bleiben und den Kontakt zu deren Schriftkultur verlieren (vgl. hierzu die autobiografischen Berichte von HSU-Schüler/innen in Kap. 8 B.1 und die bittere Erfahrung von Agnesa in 8 B.2). Es versteht sich, dass der HSU gerade gegenüber Kindern und Jugendlichen aus bildungsferneren Familien eine zentrale Rolle spielt, da die betreffenden Eltern mit den entsprechenden Aufgaben überfordert wären.

Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf Hintergründe und Modelle zu Sprach- und Textkompetenz, die übergreifend für die Erst- und Zweitsprache gelten. Wo immer möglich, werden natürlich direkte Bezüge zum HSU und seinen Schüler/innen hergestellt.

Eine entscheidende Rolle bei der Diskussion einer umfassenden Sprachförderung im mehrsprachigen Umfeld spielt die Unterscheidung zwischen Schulsprache und Alltagsprache. Schulsprache und Alltagssprache unterscheiden sich wesentlich, sei es im HSU oder im Regelunterricht.

Einerseits werden in der Schule ein spezifischer Wortschatz (für Unterrichtsinhalte, Lernhandlungen, schulische Gegenstände usw.) und spezifische grammatikalische Formen (Passivkonstruktionen, Nebensätze etc.) benützt, die in der Alltagssprache selten anzutreffen sind. Andererseits verlangt das schulische Lernen eine ausgeprägte Kompetenz im Umgang mit situationsungebundener und textuell durchformter, d. h. bewusst gestalteter und geplanter Sprache.

Nachfolgend werden zuerst die für das schulische Lernen relevanten Dimensionen der Sprachkompetenz dargestellt. Vor diesem Hintergrund werden die Unterschiede zwischen Alltags- und Schulsprache diskutiert und wird sodann das Konzept der Textkompetenz eingeführt. Das Kapitel schließt mit konkreten Beispielen, die zeigen, welche Konsequenzen sich für eine umfassende Sprachförderung im HSU ableiten lassen.


2. Dimensionen der Sprachkompetenz

Unter dem Begriff «Sprachkompetenz» werden Fähigkeiten und Fertigkeiten auf verschiedenen Ebenen der Sprachverarbeitung und Sprachanwendung zusammengefasst. Portmann-Tselikas (1998) macht folgende Unterscheidung:

  • a) Sprachkompetenz im engeren Sinn
  • b) pragmatische Kompetenz
  • c) sprachlogische Kompetenz
  • d) strategische Kompetenz

Eine gute Zusammenstellung von Zielen bzw. Leitideen finden sich in Kap. 3 des Zürcher Rahmenlehrplans für Heimatliche Sprache und Kultur, der in 20 Sprachen im Internet abrufbar ist (s. Literaturhinweise).

a) Sprachkompetenz im engeren Sinn

Zur Sprachkompetenz im engeren Sinn gehören Kenntnisse des Sprachsystems: Es braucht einen gewissen Wortschatz, Grammatikkenntnisse und Kenntnisse zum Lautsystem und zur Prosodie (Betonung, Rhythmus etc.) einer Sprache, damit es möglich wird, zu verstehen und sich zu äußern.

Bei der Sprachkompetenz im engeren Sinn geht es also um grundlegende Fertigkeiten, die es einer Person überhaupt erst ermöglichen, ihre sprachlichen Bedürfnisse in einer bestimmten Sprache zu bewältigen.

Da sich Wortschatz, Grammatik, Lautsystem und Prosodie in verschiedenen Sprachen unterscheiden, muss die Sprachkompetenz im engeren Sinn zumindest teilweise für jede Sprache neu erworben werden.

Im HSU bringen die Schüler/innen meist so viel muttersprachliche Sprachkompetenz im engeren Sinn mit, dass sie zumindest fähig sind, einfache alltägliche Gespräche zu führen. Oft ist das sprachliche Niveau allerdings deutlich niedriger als bei Gleichaltrigen, die im Herkunftsland aufwachsen. Ein besonderes Problem stellt bei einigen Sprachen dar, dass vor allem Kinder aus bildungsferneren, aliteraleren Familien die Erstsprache nur in einer dialektalen Varietät beherrschen. Dadurch kann die Verständigung im Unterricht so lange beeinträchtigt sein, bis ein gewisses Niveau in der gemeinsam verwendeten Varietät (das ist meist die Standard- oder Schriftvariante) erreicht ist.

Reflexionen über verschiedene Varietäten der Erstsprache (Standard, Dialekte, Mundarten, Sprache alter und junger Leute, Slang, Code-Switching/Sprachmischung) und Vergleiche mit der Zweitsprache sind für die sprachliche Orientierung und Bewusstheit (language awareness) mehrsprachig aufwachsender Kinder wertvoll und hilfreich. Schon von der Unterstufe an können und sollen die HSU-Lehrer/innen immer wieder entsprechende Lernanlässe schaffen und die Schüler/innen zu einfachen Sprach- und Dialektvergleichen auf der lexikalischen und grammatischen Ebene anregen.

b) Pragmatische Kompetenz

Mit der pragmatischen Kompetenz ist das Wissen um kulturell bedingte Verhaltensweisen in einer bestimmten Sprach- und Kulturregion gemeint. Eine Person mit pragmatischer Kompetenz kann sich in verschiedenen sozialen Situationen einer Sprachgemeinschaft angemessen verhalten. Sie weiß beispielsweise, wie man eine Respektsperson anspricht, welche Fragen man einer anderen Person stellen oder nicht stellen darf oder wie und wann man wen angemessen grüßt.

Die pragmatischen Normen unterscheiden sich von Sprache zu Sprache und oft sogar innerhalb des gleichen Sprachgebietes.

Menschen, die in einer anderen Kultur- und Sprachgemeinschaft leben oder aufwachsen, müssen somit die spezifischen Normen der neuen Gemeinschaft kennen und respektieren lernen, wenn sie nicht anecken und als unhöflich erscheinen wollen.

Die Auseinandersetzung mit kultur- und sprachspezifischen pragmatischen Normen ist heute ein anerkannter Teil des Sprachunterrichts und führt auch im HSU zu wichtigen Lern- und Denkanlässen. Diese sind umso attraktiver und authentischer, als sie direkt an die

Erfahrungen der in und zwischen zwei Sprachen und Kulturen aufwachsenden Schüler/innen anknüpfen können.
Eine metasprachliche Auseinandersetzung mit pragmatischen Normen kann beispielsweise durch Fragen wie die folgenden angeregt werden:

  • Was weißt du über das Duzen und Siezen in unserer Herkunftskultur und hier, wo wir jetzt leben? Wer darf wen duzen? Wer muss wen siezen, usw.?
  • Wer begrüßt wen wie? Welche Regeln des Grüßens kennst du? Wann werden welche Begrüßungs- und Verabschiedungsformeln verwendet – hier und in unserer Herkunftskultur?
  • Was kommt euch zu den Stichworten Lautstärke, Körperkontakt, Distanz zwischen den Sprechenden in den Sinn, wenn ihr die beiden Kulturen vergleicht?

c) Sprachlogische Kompetenz

Die sprachlogische Kompetenz betrifft die Fähigkeit, komplexere Sachverhalte zusammenhängend und verständlich wiederzugeben oder entsprechende Texte zu verstehen. Sie ermöglicht es einem Kind etwa, einer Geschichte zu folgen, einen mehrschrittigen Ablauf sprachlich zu verstehen oder selbst zu formulieren. Sprachlogische Kompetenz ist auch im HSU in vielen Situationen verlangt, z. B. wenn die Kommunikation für die älteren Schüler/innen ausschließlich über schriftliche Texte und Aufträge verläuft, weil die Lehrerin gerade mit den jüngeren arbeitet.

Sprachlogische Kompetenz ist nicht an eine bestimmte Sprache gebunden und muss deshalb auch nicht in jeder Sprache neu aufgebaut werden.

Es handelt sich hier vielmehr um eine Kompetenz, die nur einmal erworben wird und dann in allen gelernten Sprachen angewendet werden kann.

Im Normalfall sollten die Schüler/innen entsprechende Vorkenntnisse vom regulären Unterricht her mitbringen; der HSU kann hier anknüpfen und ausbauen. Mit jüngeren Schüler/innen kann die sprachlogische Kompetenz gut mit spielerischen Übungen unterstützt werden (Bilder in die richtige Reihenfolge legen, zu den Bildern Geschichten nacherzählen, zerschnittene Geschichten richtig zusammensetzen, Tabellen lesen, Zusammengehöriges verbinden). Ältere arbeiten an ihrer sprachlogischen Kompetenz beispielsweise, indem sie anhand klarer Vorgaben kleine Vorträge halten oder Berichte schreiben.

d) Strategische Kompetenz

Die strategische Kompetenz umfasst die Fähigkeit, Probleme bei der sprachlichen Verständigung und beim Sprachenlernen zu lösen.

Lernende mit einer hohen strategischen Kompetenz wissen beispielsweise, wie man bei Kommunikations- schwierigkeiten nachfragt, wie und wo man in Büchern und am Internet Informationen beschafft, wie man um Hilfe bittet oder wie man vorgeht, wenn man etwas sprachlich Komplexes verstehen oder ausdrücken muss. Wie die sprachlogische Kompetenz ist auch die strategische Kompetenz nicht an eine bestimmte Sprache gebunden und kann in verschiedenen Sprachen genutzt werden.

Im HSU kann die strategische Kompetenz anhand von gut strukturierten und sich wiederholenden Arbeitsaufträgen gefördert werden. Sprachliche Handlungen, die im Unterricht immer gleich ausgeführt werden – wie z. B. markieren, nachsprechen, auswendig lernen, Wörter in einem Text finden, einen Text planen, etwas nachschlagen/recherchieren usw. –, werden mit der Zeit zur Routine. Die Reflexion über solche Vorgehensweisen (sich die Strategien bewusst machen) ist bereits mit jüngeren Schüler/innen möglich und wirkt sich erfahrungsgemäß positiv auf die Entwicklung der strategischen Kompetenz aus.

Besonders lernfördernd: Koordiniertes Vorgehen

Für den Schulerfolg sind die sprachlogische und strategische Kompetenz entscheidend. Diese Kompetenzen sind nicht an eine bestimmte Sprache gebunden und können sowohl im HSU als auch im Unterricht in der Zweit- oder Landessprache gefördert werden. Optimal wäre ein koordiniertes Vorgehen von HSU und regulärem Unterricht. Wenn die Schüler/innen beispielsweise im HSU und im regulären Unterricht gleichzeitig trainieren, in einem Text wichtige Stellen zu finden und zu markieren, verdoppelt dies den Lerneffekt: Sie haben mehr Trainingszeit und es wird ihnen bewusst, dass diese Vorgehensweise in jeder Sprache nützlich ist.

Es lohnt sich unbedingt, seitens des HSU mit den Klassenlehrer/innen Kontakt aufzunehmen und sich zu informieren, welche Strategien und Verfahren im regulären Unterricht gerade geübt werden und im HSU aufgegriffen werden könnten.


3. Alltagssprache – Schulsprache, BICS – CALP

Der kanadische Bildungsforscher Jim Cummins führte bereits um 1980 die Unterscheidung zwischen zwei Arten oder Dimensionen der Sprachkompetenz ein: BICS (Basic Interpersonal Communicative Skills; grundlegende alltagssprachliche Kommunikationsfähigkeiten) und CALP (Cognitive Academic Language Proficency; kognitiv-schulbezogene Sprachfähigkeiten). Die alltagssprachlichen Kompetenzen (BICS) werden von allen Menschen weitgehend im sozialen Kontakt gelernt. An einem Alltagsgespräch teilnehmen, kurze Informationen wie eine SMS lesen oder verfassen, nach dem Weg fragen usw. sind sprachliche Handlungen, für die keine schulische Förderung notwendig ist. Wenn dagegen komplexere Sprachleistungen erbracht werden müssen, sind schulisch-kognitive Sprachkompetenzen (CALP) erforderlich. Sie entsprechen weitgehend den im vorangehenden Kapitel beschriebenen sprachlogischen und strategischen Kompetenzen und sind übersprachlich; d. h. wer sie in einer Sprache erworben hat, hat sie auch in den anderen Sprachen zur Verfügung. Für den Schulerfolg und damit für die Berufsperspektiven und gesellschaftliche Integration sind sie von entscheidender Bedeutung. Dies ist der Hauptgrund, weshalb im Interesse der Schüler/innen ein koordiniertes Vorgehen von HSU und regulärem Unterricht in diesem Bereich unbedingt zu wünschen ist.

Die Interdependenzhypothese

Zwischen den einzelnen Sprachen, die ein Mensch beherrscht, besteht eine gewisse Abhängigkeit oder Interdependenz. Mit der sogenannten Interdependenzhypothese konnte Jim Cummins erklären, weshalb Kinder, die aus bildungsnahen Familien stammen und über gute schulische Grundlagen verfügen, eine Zweitsprache effizienter und schneller lernen als Kinder aus sprachschwachen und bildungsfernen Familien. Dank der ausgeprägten CALP-Kompetenzen, die bildungsnahe Eltern durch ihr differenziertes Sprachverhalten, durch das Erzählen von Geschichten, durch das Erklären von Sachverhalten usw. vermitteln, kann sich ein Kind aus einer solchen Familie in einer neuen Sprachumgebung auf die rein sprachlichen Herausforderungen (Wortschatz, Grammatik, Aussprache, Pragmatik usw.) konzentrieren. Kinder aus bildungsferneren Familien, die nicht in der Schul- oder Landessprache aufwachsen, müssen im regulären Unterricht dagegen gleichzeitig sowohl die Zweitsprache als auch die schulisch-kognitiven Kompetenzen (CALP) aufbauen. Dies stellt sie vor eine doppelte sprachliche Herausforderung und ist einer der Gründe für schwache Schulkarrieren.

Die HSU-Lehrer/innen können einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Chancen leisten, wenn sie im HSU ihrerseits möglichst aktiv und mit dem Regelunterricht koordiniert am Aufbau der CALP und der sprachlogischen und strategischen Kompetenz arbeiten.


4. Textkompetenz

In der Sprachdidaktik werden traditionell die folgenden vier Fertigkeiten oder Bereiche unterschieden: Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben. Allerdings werden innerhalb eines jeden dieser Bereiche kognitiv sehr unterschiedlich anspruchsvolle Leistungen verlangt. So ist es z. B. ungleich einfacher, eine SMS zu schreiben, als einen detaillierten Bericht zu verfassen. Ebenso sind die kognitiven Ansprüche deutlich geringer, wenn Schüler/innen zusammen über ihre Ferien plaudern, als wenn sie vor Publikum einen Vortrag über eine Epoche aus der Geschichte ihres Herkunftslandes halten müssen.

Was in den vorhergehenden Kapiteln mit sprachlogischer und strategischer Kompetenz bzw. mit schulisch-kognitiven Kompetenzen (CALP) beschrieben wurde, definieren Portmann-Tselikas & Schmölzer-Eibinger (2008) als Textkompetenz. Mit diesem Konzept differenzieren sie das BICS-CALP-Modell von Cummins. In ihrem Textkompetenzmodell unterscheiden sie vier Bereiche sprachlicher Leistungen.

Dabei sind die Bezugsgrößen einerseits

  • die thematische Orientierung am Alltag und
  • die thematische Orientierung am systematischen Wissen.

Andererseits unterscheidet das Textkompetenzmodell zwischen

  • dialogisch organisierten Sprachprodukten und
  • monologisch organisierten, d. h. textuell durchformten, «gestalteten» Sprachprodukten.

Da das Textkompetenzmodell nicht nur in der gegenwärtigen sprachdidaktischen Diskussion aktuell ist, sondern auch für den HSU und die dortige Sprachförderung von Bedeutung und Interesse ist, führen wir es im Folgenden etwas näher aus.

1. Sprachhandlung «plaudern»

Quadrant 1 bezieht sich auf dialogische Sprachhandlungen mit alltagsorientiertem Inhalt. Hierzu zählt ein Großteil unserer sprachlich-kognitiven Aktivitäten vor allem aus dem Bereich der Freizeit. In den entsprechenden Situationen tauschen Menschen zwar neue Informationen aus, bauen aber kaum neues Wissen (im Sinne von neuen Konzepten, Zusammenhängen, Sachverhalten usw.) auf.

Die betreffenden Sprachhandlungen sind wenig bis gar nicht geplant, meist spontan und oft auch wiederholend-redundant.

Sie können unter dem Begriff «plaudern» zusammengefasst werden, obwohl auch anspruchslose schriftliche Formen zu diesem Quadranten gehören (Kurztexte wie z. B. SMS lesen und schreiben, Grußkarten, Einkaufslisten usw. schreiben und lesen).

Die kognitiven Kompetenzen, um in diesem Quadranten zu funktionieren, erwirbt der Mensch im sozialen Kontakt schon sehr früh und zuerst natürlich in der Erstsprache. Wenn Kinder in die Schule eintreten, wissen sie implizit bereits, wie dialogisches Sprechen abläuft. Was sie in der Schule und im HSU lernen müssen, sind vor allem zusätzliche alltagsrelevante Wörter und Wendungen sowie die spezifischen pragmatischen Normen des Sprechens in einer Gruppe.

2. Sprachhandlung «erzählen»

Quadrant 2 bezieht sich auf Sprachhandlungen, in denen die Sprachprodukte deutlich stärker textuell gestaltet, «durchformt» sind. Dies betrifft alle möglichen Formen von Erzählungen, Berichten etc. Ein Märchen beispielsweise, das von einer erwachsenen Person erzählt wird, hat eine starke textuelle Durchformung, d. h. es wird meist mit ganzen Sätzen, mit einem kompletten Erzählbogen und mit einem anspruchsvolleren Vokabular erzählt. Dasselbe gilt selbstverständlich für geschriebene Erzählungen, Berichte, Aufsätze etc., deren Anspruchsniveau deutlich über dem des Plauderns liegt. Die kognitiven Kompetenzen, um einer Erzählung zu folgen, über Erzählungen zu sprechen und selbst erzählende Texte zu verfassen, entwickeln Kinder auf der Grundlage der Kompetenzen des Quadranten 1. Dies beginnt schon sehr früh, beispielsweise mit den Gutenachtgeschichten.

Kinder aus bildungsnahen Familien, in denen Erzählungen schon ab dem zweiten Lebensjahr eine wichtige Rolle spielen, sind sehr früh fähig, durch rein sprachliche Impulse einer Geschichte zu folgen.

Kinder, die mit Geschichten aufwachsen, lernen somit früh, aus sprachlichen Inputs innere Bilder zu produzieren, zu einer Erzählung einen inneren Film zu sehen und über diesen Film auch zu sprechen. (Man spricht in diesem Kontext auch von mentalen Repräsentationen.) Umgekehrt fehlen Kindern aus spracharmen Familien, in denen keine Geschichten erzählt werden, beim Eintritt in den Kindergarten oft genau diese Kompetenzen. Die Schule und der HSU können und sollen hier zumindest in beschränktem Maß kompensatorisch wirken, indem sie das Erzählen von Geschichten, das Sprechen über Geschichten und die Schaffung innerer Bilder bewusst pflegen und steuern.

3. Sprachhandlung «erklären»

Auch für die kognitiven Kompetenzen im Quadranten 3 werden die Grundlagen bereits früh aufgebaut, und zwar im sogenannten Warum-Alter. Sobald Kinder beginnen, Warum-Fragen zu stellen, werden sie mit komplexen Antworten konfrontiert. Eltern, die ausgehend von Warum-Fragen intensive Gespräche mit den Kindern führen, vermitteln diesen nicht nur wichtiges Weltwissen, sie tragen auch wesentlich zum Aufbau von kognitiven Strukturen bei, wie z. B. Ursache – Wirkung (wenn – dann), Bedingung/Einräumung (falls …) oder verschiedene «wenn»-Szenarien (das wäre nur so, wenn …). Sprachliche Handlungen im Quadranten 3 sind dialogisch organisiert, d. h. die Kommunikationspartner wechseln sich in der Sprecherrolle ab, allerdings nicht so oft wie im Quadranten 1. In diesen Gesprächen kommen auch längere monologische Sequenzen vor, z. B. wenn eine erwachsene Person etwas ausführlich erklärt oder wenn ein Kind etwas genau verstehen möchte. Zu geschriebenen Texten in diesem Quadranten würde z. B. ein Interview mit einer Fachperson zählen, in dem jeweils einer Frage eine mehr oder weniger lange Antwort folgt.

Vielen Kindern aus bildungsfernen Familien fehlen Erfahrungen mit erklärenden Gesprächen, so dass sie die entsprechenden kognitiven Kompetenzen nur ansatzweise entwickelt haben.

Der HSU hat mit Blick auf die Kompetenz «erklären» zwei wichtige Aufaben: Erstens muss er entsprechende Aufgabestellungen bieten; z. B.: «Erkläre, warum etwas (ein Handlungsverlauf, eine landeskundliche oder historische Tatsache etc.) so oder so ist!» Zweitens muss er die Schüler/innen dabei unterstützen, diese Aufgabe vom Aufbau und vom Wortschatz her in der Erstsprache zu bewältigen. Dies verlangt oft besondere Vorbereitungen, da viele HSU-Schüler/innen Mühe mit den anspruchsvolleren Facetten ihrer Erstsprache haben.

4. «Schulisch-akademische» Sprachhandlungen

Quadrant 4 bezieht sich auf mündliche und schriftliche Sprachhandlungen, die textuell durchformt (anspruchsvoll gestaltet) sind und inhaltlich neues Wissen vermitteln. Solchen Texten begegnen Kinder vor allem im schulischen Kontext. Bereits im Kindergarten müssen Kinder kurzen Sacherklärungen folgen (Hörverstehen). Im Primarschulalter werden sie dann aufgefordert, einen kleinen Vortrag über ein Tier zu halten (Sprechen), einen Sachtext zu lesen (Leseverstehen) oder den Ablauf eines Experiments zu notieren (Schreiben). Diese Sprachhandlungen erfordern kognitive Kompetenzen, die schulisch aufgebaut werden müssen und die sich auf eine gut entwickelte Basis in den Quadranten 2 und 3 stützen.

Für den Bildungserfolg sind kognitive Kompetenzen in diesem Bereich grundlegend, vgl. auch oben die Ausführungen zu CALP.

Der HSU kann sich bezüglich dieses Quadranten natürlich auf Kompetenzen und Techniken verlassen, die die Schüler/innen aus dem regulären Unterricht mitbringen. Er kann und muss aber Anlässe schaffen (und entsprechende Unterstützung bieten), wo diese Kompetenzen nun auch in Bezug auf HSU-Themen und in der Herkunftssprache umgesetzt werden.

Durch schulische Förderung zu komplexen Sprachhandlungen

Die sprachliche Entwicklung geht von Quadrant 1 aus. Erst nachdem ein Kleinkind grundlegende Kommunikationsfähigkeiten aufgebaut hat, können Kompetenzen in den Quadranten 2 und 3 entwickelt werden. Wenn Kinder die kognitiven Kompetenzen in den Quadranten 2 und 3 nicht zu Hause aufbauen konnten, ist es Aufgabe von Kindergarten, Schule und HSU, sie in diesen Bereichen gezielt zu fördern – z. B. durch wiederholtes Erzählen und Nacherzählen von einfachen Geschichten oder durch Erklären und Darlegen von Abläufen und Sachverhalten in alters- entsprechend einfacher Art und Weise.

Die Kompetenzen im Quadranten 4 können sich nur entwickeln, wenn die Kinder bereits grundlegende Kompetenzen in den Quadranten 2 und 3 aufgebaut haben. Einen direkten Weg vom Quadranten 1 zum Quadranten 4 gibt es nicht. Wohl aber gibt es Rückwirkungen der kognitiven Kompetenzen vom Quadranten 4 auf den Quadranten 1: Menschen, die gelernt haben, einen Text zu schreiben, über ein Geschehen klar und nachvollziehbar zu berichten usw., sprechen meist auch im Alltag anders bzw. differenzierter als Menschen, die im Quadranten 4 keine oder nur schwache Kompetenzen aufweisen.

Die besondere Aufgabe des HSU in all diesen Prozessen ist es, die Kinder dabei zu unterstützen, dass sie die entsprechenden Schritte und Entwicklungen auch in der Herkunftssprache machen.

Viele Schüler/innen sind ja in der Schulsprache des Einwanderungslandes deutlich stärker als in ihrer Erstsprache – was auch kein Wunder ist, da sie in der Schulsprache während 30 Lektionen pro Woche gefördert werden, in der Erstsprache aber nur in den zwei Lektionen HSU! Umso wichtiger ist, dass diese zwei Lektionen möglichst effizient und sprachfördernd genutzt werden.

Eine doppelte Herausforderung: Das Sprachsystem erlernen und gleichzeitig Textkompetenz aufbauen

Für die Sprachförderung im mehrsprachigen Umfeld allgemein wie auch für den HSU gilt es, besonders zu berücksichtigen, dass der Sprachunterricht auf zwei verschiedene sprachliche Dimensionen gleichzeitig fokussieren muss:

Einerseits muss das Erlernen des Sprachsystems unterstützt werden. Im HSU ist damit vor allem das System der Standard- oder Schriftvariante der Herkunftssprache gemeint.

Andererseits müssen gleichzeitig die verschiedenen Facetten der Textkompetenz (CALP, sprachlogische und strategische Kompetenz, siehe oben) auf- und ausgebaut werden, da sie entscheidend für den Schul- bzw. Bildungserfolg sind. Hier kann und soll sich der HSU auf das beziehen, was die Schüler/innen vom regulären Unterricht her mitbringen.

Je besser HSU- und Regelklassenlehrer/innen kooperieren und z. B. die gleichen Lese- oder Schreibstrategien in der Erst- und Zweitsprache trainieren, desto nachhaltiger fällt der Lern- effekt aus.

Eine einseitige Fokussierung auf das Erlernen des Sprachsystems trägt wenig dazu bei, dass ein Kind auch schulisch erfolgreich lernen kann.

5. Konsequenzen für eine umfassende Sprachförderung

Praxiserfahrungen zeigen, dass in einem Großteil des Unterrichts dialogische Sprachhandlungen im Vordergrund stehen. In der Grafik der vier Quadranten der Textkompetenz (siehe oben) sind diese Spachhandlungen den Quadranten 1 und 3 zugeordnet. Die Lehrperson tauscht sich beispielsweise mit den Schüler/innen über die Ferien aus (Quadrant 1) oder sie spricht mit ihnen über die Landwirtschaft im Herkunftsland (Quadrant 3).

Eine umfassende Sprachförderung geht davon aus, dass in allen Fächern, in denen die Sprache eine wichtige Rolle spielt, auch monologische Sprachhandlungen – also Sprachhandlungen der Quadranten 2 und 4 – gezielt gefördert werden sollen. Die folgenden didaktischen Beispiele zeigen, wie dies auch im HSU und mit Bezug zur Herkunftssprache geschehen kann und soll.

a) Komplexe Sprachhandlungen durch unterstützende Aufträge ermöglichen

Unterstützende Aufträge für das Sprechen oder Schreiben sind Aufträge und Anleitungen, die den Schüler/innen sprachliches Material und Hilfen zum Strukturieren und Gestalten eines Textes bieten. Ein Beispiel sind die verschiedenen Satzanfänge und Satzbausteine, die in Kap. 7 B.4 abgebildet sind. Sie helfen den spanischen HSU-Schüler/innen der St. Augustine‘s School in London, ihre Texte abwechslungsreicher zu gestalten.

Mit unterstützenden Aufträgen können Schüler/innen so begleitet werden, dass sie beim Sprechen und Schreiben Wörter, Formulierungen und Konstruktionen gebrauchen, die sie ohne Hilfe noch nicht produktiv verwenden würden.

In der Sprachdidaktik spricht man hier von Scaffolding (engl. Scaffold = Gerüst). Die Aufträge bilden ein Gerüst, das mit der Zeit – wenn sich Routinen entwickelt haben – nicht mehr benötigt wird. Wenn Schüler/innen mithilfe unterstützender Aufträge gute Leistungen erbringen, führt dies oft zu einer erhöhten und leistungssteigernden Motivation. Zugleich führt die regelmäßige Arbeit mit unterstützenden Aufträgen zum sukzessiven Aufbau eines Repertoires an Sprachmitteln und -strategien und zur Entwicklung von Routinen, die immer selbstständiger eingesetzt werden.

Das folgende Beispiel zeigt, wie ein sprachschwaches achtjähriges Kind eine Bildergeschichte verschriftlicht. Das Kind erhält eine Vorlage (siehe rechts), aus der es die Struktur und einige vorgegebene Textbausteine übernehmen kann. Im dritten Satz seines eigenen Textes verwendet es sogar einen Textbaustein, den es in einer früher geschriebenen Bildergeschichte kennengelernt hat («Schon immer wollte er …»; siehe nächste Seite). Dies belegt, dass Textbausteine auch gespeichert werden und für spätere Texte zur Verfügung stehen.

Mit der Zeit ist das «Gerüst» für eine bestimmte Textsorte (z. B. Bildergeschichte) verinnerlicht. Nun kann die Lehrperson mit einer neuen Textsorte (z. B. einfache kleine Vorträge) beginnen und auch hier zu Beginn hilfreiche Gerüste bzw. Redemittel zur Verfügung stellen.

Es versteht sich, dass ähnliche Vorlagen im HSU problemlos auch in der Herkunftssprache hergestellt werden können. Anwendungsbereiche: Gerüst für Bildergeschichten/für Erlebnisaufsätze/für Sachtexte/ für kleine Vorträge (Aufbau; Formeln für Anfang und Schluss etc.); Sammlung von Satzanfängen und weiteren Sprachmitteln wie in Kap. 7 B.4.

Eine Fülle entsprechender Ideen findet sich in Teil III des Hefts «Förderung des Schreibens in der Erstsprache» in der Reihe «Materialien für den HSU».

b) Einen Wortschatz aufbauen, der komplexe Sprachhandlungen ermöglicht

Erwachsene und Kinder lernen – auch ohne schulischen Input – laufend neue Wörter. Für erfolgreiches schulisches Lernen muss dieser ungesteuerte Erwerb durch gezielte Wortschatzarbeit ergänzt werden. Dies gilt doppelt für die Erst- oder Herkunftssprache, in der viele HSU-Schüler/innen (und erst recht diejenigen ohne HSU!) schwächer sind als in der Schulsprache des Einwanderungslandes. Eine besondere Gefahr ist hier das sogenannte Auseinanderfallen der Wortschätze. Gemeint ist, dass die Kinder die Wörter für häusliche und familiäre Dinge vor allem in der Herkunftssprache kennen (allerdings oft nur im Dialekt), für alles Schulische hingegen (Maßstab, Turnsack, Pausenhof, messen, wägen etc.) nur die Bezeichnungen in der Schulsprache.

Eine wichtige Aufgabe des HSU ist, dieses Auseinanderfallen der Wortschätze zu verhindern, indem gezielt und bewusst am schulischen Wortschatz in der Herkunftssprache gearbeitet wird.

Dies kann und soll immer wieder auch unter Einbezug der Sprache des Einwanderungslandes geschehen, wie es das Planungsbeispiel von Etleva Mançe in Kap. 8 B.3 illustriert. (Vgl. auch die Aussage der Lehrerin in Kap. 8 B.4: «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Kinder durch den parallelen Unterricht in Deutsch und Romanes ihre Muttersprache viel besser lernen.»)

Damit Schüler/innen zu komplexen Sprachhandlungen fähig werden, müssen sie also systematisch beim Aufbau eines über die Alltagssprache hinausgehenden Wortschatzes begleitet werden. Zur Arbeit an diesem Ziel hat sich in der Praxis bewährt, dass Lehrpersonen bei der Vorbereitung eines Themas einen kurzen Text aufschreiben, der so formuliert ist, wie sie es von ihren Schüler/innen am Ende der entsprechenden Unterrichtseinheit erwarten. Bei jüngeren Kindern kann die Lehrperson sich einen vom Kind gesprochenen Text vorstellen, bei älteren Lernenden einen schriftlich verfassten.

Ein solcher fiktiver Schülertext verdeutlicht, welche Wörter und Formulierungen für die Arbeit am Thema wesentlich sind. Im fiktiven Schülertext werden die entsprechenden Wörter markiert. Dies liefert die Grundlage für das Erstellen einer überschaubaren, altersgemäßen Liste von Wörtern, die Teil des produktiven Wortschatzes (siehe unten) werden sollen. Selbstverständlich können, ausgehend vom fiktiven Schülertext, auch zwei oder drei Wörterlisten für unterschiedliche Niveaus hergestellt werden.

Das folgende Beispiel aus einer Weiterbildungsveranstaltung zeigt den Auftrag, den Lehrpersonen erhalten haben, und den Vorschlag eines Lehrers, der elf- bis zwölfjährige Schüler/innen unterrichtet.

 

  • Auftrag
    Verfassen Sie einen fiktiven Schülertext zu einem in Ihrem Unterricht aktuellen Thema. Schreiben Sie den Text gemäß folgender Leitfrage:
    Was sollen die Schülerinnen und Schüler am Ende der Unterrichtseinheit sagen oder schreiben können; welche wichtigen Wörter sollen sie kennen und anwenden lernen? ?
  • (Vorschlag eines Lehrers)
    Thema «Steinzeit – das Feuer»
    Die Menschen lernten das Feuer kontrollieren. Sie konnten selber Feuer entfachen und das Feuer nutzen.
    Das Feuer bot Schutz vor nachtaktiven Tieren und Insekten und spendete Licht.
    Feuer ermöglichte das Überleben in kälteren Regionen. Im Feuer konnte Fleisch gebraten werden. Dadurch wurde das Fleisch leichter verdaulich.
    Außerdem konnte im Feuer aus Birkenrinde Birkenpech hergestellt werden – ein starker Klebstoff.

c) Produktiver/aktiver und rezeptiver/passiver Wortschatz

Wichtig ist bei aller Wortschatzarbeit die Unterscheidung von produktivem und rezeptivem Wortschatz. Der produktive Wortschatz betrifft gebrauchshäufige, wichtige Wörter und Wendungen, welche die Schüler/innen selbst aktiv verwenden können sollen (in unserem Beispiel: kontrollieren, ermöglichte, verdaulich; ferner die Konstruktionen mit dem Modalverb «konnte» etc.). Hierzu brauchen sie natürlich Anwendungsgelegenheiten, z. B. die Aufforderung, diese Wörter bewusst in einem gesprochenen oder geschriebenen Text 2–3 Mal zu verwenden.

Der rezeptive Wortschatz betrifft seltenere Wörter und Wendungen, welche die Schüler/innen zwar passiv verstehen sollen, aber (noch) nicht unbedingt für die eigene Anwendung lernen müssen (in unserem Beispiel: entfachen, Birkenpech etc.).

Mit Blick auf Wörter, die «nur» verstanden werden müssen, ist die folgende Unterscheidung nützlich:

  • 1. Wörter, Wendungen, Konstruktionen ohne hohen Gebrauchswert: Hier genügt eine kurze – in der Regel mündliche – Erklärung.
  • 2. Wörter bzw. Formulierungen, die bei der weiteren Arbeit am Thema wiederholt benötigt werden – z. B. in Lesetexten oder bei Ausführungen der Lehrperson: In diesem Fall ist nicht nur das Klären, sondern auch das Festhalten der Bedeutung sinnvoll.

Insbesondere bei der Arbeit an Fachtexten werden oft viele Wörter und Formulierungen mündlich besprochen. Lernende, für die die meisten Erklärungen neu sind, haben kaum eine Chance, alles im Kopf zu behalten. Auf einem Plakat, in einem Wörterheft, mit Randnotizen oder auf Haftzetteln können Erklärungen so festgehalten werden, dass sie bei der weiteren Arbeit zur Verfügung stehen.

d) Wichtig für komplexere Sprachhandlungen: Verknüpfungsmittel

Damit komplexere Formulierungen und Bezüge über die Satzgrenze hinaus möglich werden, brauchen die Schüler/innen eine besondere Gruppe von Wörtern. Es sind Wörter wie beispielsweise «weil», «aber», «bald» oder auch «plötzlich». Im Unterricht werden solche Wörter selten explizit angeschaut. Sie finden sich auch selten in Wörterlisten, die Lehrpersonen für ihre Klasse erstellt haben (vgl. aber die Plakate in Kap. 7 B.4!)

Diese Wörter haben die Funktion, Gedanken in Sätzen oder Texten zu verknüpfen. Sie werden deshalb «Funktionswörter» oder «Verknüpfungsmittel» genannt. Damit Lernende die Bedeutung von Verknüpfungsmitteln verstehen, müssen ihnen diese in sinnvolle Zusammenhänge eingebettet begegnen. Wenn im Unterricht der Text eines Schülers oder einer Schülerin vorgelesen wird, kann die Lehrperson einen Satz mit einem Verknüpfungsmittel herausgreifen und nach dessen Funktion fragen. Bereits jüngere Schüler/innen interessieren sich für solche metasprachlichen Fragen. So kann beispielsweise diskutiert werden, warum an einer bestimmten Stelle «oder» statt «und» stehen muss. Mit älteren Lernenden könnte es um die unterschiedliche Bedeutung der Sätze «Wir gehen nicht raus, weil es regnet» und «Wir gehen nicht raus, wenn es regnet» gehen. Gespräche über die Wirkung von Wörtern und Wendungen wie «plötzlich», «nach einer Weile», «gespannt wartete ich …» können Schüler/innen Anregungen für das eigene Schreiben geben.

Es versteht sich, dass entsprechende Reflexionen (wie auch der Vergleich mit der Schulsprache des Einwanderungslandes) viel dazu beitragen können, die Sensibilität gegenüber der Herkunftssprache und die Kompetenz in dieser zu steigern.


Literaturhinweise

(Vgl. auch die Hefte der Reihe «Materialien für den herkunftssprachlichen Unterricht / didaktische Anregungen»!)

Bildungsdirektion Kanton Zürich (2011): Rahmenlehr- plan für Heimatliche Sprachen und Kultur (HSK). Link: http://www.vsa.zh.ch/hsk

Cummins, Jim (2000): Language, Power and Peda- gogy. Bilingual Children in the Crossfire. Clivedon, England: Multilingual Matters.

Cummins, Jim (2001): Bilingual Children‘s Mother Tongue: Why Is It Important for Education? Link: http://www15.gencat.net/pres_casa_llengues/ uploads/articles/Bilingual%20Childrens %20Mother%20Tongue.pdf
(Deutsch: Die Bedeutung der Muttersprache mehrsprachiger Kinder für die Schule; Link: http:// www.laga-nrw.on.spirito.de/data/cummins_ bedeutung__der_muttersprache.pdf).

Krompàk, Edina (2014): Spracherwerb und Erst- sprachenförderung bei mehrsprachigen Kindern mit Migrationshintergrund. In: vpod Bildungspoli- tik, Sonderheft Nr. 188/189 «Die Zukunft des Erstsprachunterrichts», S. 20 f.

Neugebauer, Claudia; Claudio Nodari (2013): Förderung der Schulsprache in allen Fächern. Praxisvorschläge für Schulen in einem mehrspra- chigen Umfeld. Kindergarten bis Sekundarstufe I. Bern: Schulverlag plus.

Portmann-Tselikas, Paul R. (1998). Sprachförderung im Unterricht. Zürich: Orell Füssli Verlag.

Portmann-Tselikas, Paul R.; Sabine Schmölzer-Eibinger (2008): Textkompetenz. In: Fremdsprache Deutsch, Heft 39, S. 5–16.


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