Dora Luginbühl, Xavier Monn


1. Einführung

Weltanschauliche und kulturelle Werthaltungen, Vorstellungen von Unterrichtsqualität und Aspekte moderner Schulentwicklung manifestieren sich im methodischen und pädagogischen Handeln im Klassenzimmer. Förderorientierung, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung sowie Lebensweltbezug oder Altersgemäßheit (vgl. Kap. 5) verlangen ein erweitertes Lehr- und Lernverständnis.

Zudem erfordert die heterogene Zusammensetzung der Schulklassen (aufgrund kultureller, sozialer und kognitiver Unterschiede), dass Lehrpersonen und Schulen differenzierende Unterrichtskonzepte entwickeln. Diese richten sich stärker als bisher an den unterschiedlichen Voraussetzungen und Entwicklungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler aus.

Die gewählten Maßnahmen der inneren Differenzierung und des adaptiven Unterrichts zielen darauf, allen Schülerinnen und Schülern möglichst optimale Lernchancen und passgenaue Lernangebote zu bieten. Merkmale eines lernwirksamen Unterrichts sind dabei weder das Ignorieren der vorhandenen Unterschiede noch eine «radikale» Individualisierung, die für jede Schülerin und jeden Schüler ein eigenes Programm vorsieht.

Ein lernwirksamer Unterricht zeichnet sich vielmehr gerade auch im HSU durch einen bewussten, zielgerichteten und ausbalancierten Einsatz verschiedener Lehr- und Lernformen aus. Er passt Lernziele, Lerninhalte, Lernzeit sowie gegebenenfalls die Lernorte den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler an und berücksichtigt verschiedene Anschauungs- und Arbeitsmittel. Die Lehrpersonen fördern mit passenden Aufgaben die Lern- und Verstehensprozesse der Schülerinnen und Schüler. Sie begleiten und beraten sie im Klassenverband, in Gruppen oder einzeln im Hinblick auf die nächsten Lernschritte. Eine Differenzierung ist sowohl in geführten als auch in offenen Unterrichtssequenzen möglich.

Für die angemessene Wahl von Unterrichts- und Lernformen sind folgende Aspekte zentral:

  • Lernwirksamkeit bei den Schülerinnen und Schülern,
  • Adaptive und angepasste Methodenwahl,
  • Methodische Handlungskompetenz der Lehrperson.

Sie werden in den folgenden Unterkapiteln entlang den Themen Lehren und Lernen in heterogenen Klassen, erweiterte Lehr- und Lernformen und Lernaufgaben dargestellt und auf den HSU hin reflektiert. Die teils sehr unterschiedlichen Kontextbedingungen des HSU sind unbedingt in die methodischen Überlegungen einzubeziehen. Der meist separierte Fachunterricht, welcher teilweise räumlich wie stundenplanmäßig marginalisiert wird, kann teilweise nicht auf den gleichen methodischen Grundlagen aufbauen wie der Regelunterricht in der Volksschule.

Die vorgelegte Übersicht folgt weitgehend der Broschüre «Lern- und Unterrichtsverständnis» (Amt für Volksschule Thurgau, 2013), die der Co-Autor Xavier Monn für das Amt für Volksschule Thurgau erarbeitet hat. Teile daraus wurden für diesen Text direkt übernommen.


2. Lehren und Lernen in heterogenen Klassen

Ein Unterricht, der sich an den heterogenen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler orientiert, muss sich unter teilweise widersprüchlichen Voraussetzungen und Zielen entwickeln. Dadurch eröffnen sich verschiedene Spannungsfelder, wie sie das Würfelmodell (siehe Grafik unten) zeigt (aus Friedli Deuter, 2013, S. 27; basierend auf einem unveröffentlichten Skript von Eckhart und Berger). Dabei muss bezüglich der Wahl der Lerninhalte zwischen der Sachorientierung (z. B. Lernziele gemäß Lehrplan) und der Orientierung an den Entwicklungsständen der Kinder und Jugendlichen vermittelt werden. Zudem verlangt die Dimension der Differenzierung ein stetiges Ausbalancieren zwischen der Orientierung am Individuum und dem Bedürfnis nach gemeinsamen Lernerlebnissen (Gemeinsamkeitsorientierung). Ein weiteres Spannungsfeld eröffnet sich im Bereich der Vermittlung und der Steuerung des Unterrichts. Wo ist Schülerzentrierung lernfördernd und wo allenfalls eher ein direktiver Unterricht, in welchem die Lehrperson den Lernprozess steuert?

Ein Unterricht mit heterogenen Lerngruppen geht demnach nicht von einem Entweder-oder-Prinzip, sondern von einem Sowohl-als-auch-Prinzip aus. Gefordert ist ein stetes, situatives und zielgerichtetes Ausbalancieren der Gegensätze entlang der genannten Grundlinien.

Für Lehrpersonen ist dies eine Herausforderung: «Das Bewegen in solchen unterrichtlichen Spannungsfeldern kann verunsichern. Es eröffnet aber auch unterrichtliche Spielräume, kann ermutigen zum Kennenlernen und Erproben verschiedener, sich ergänzender Ansätze. Dies darf nicht in eine Beliebigkeit […] münden, sondern verlangt eine reflexive Praxis, in der Unterricht so weiterentwickelt wird, dass er den vielfältigen Lern- und Leistungsvoraussetzungen in der Schulklasse gerechter werden kann» (Eckhart, 2008, S. 107).

Meyer (2011) spricht in diesem Zusammenhang auch von «Balancierungsaufgaben» der Lehrpersonen und macht dazu bezüglich des Gütekriteriums «Methodenvielfalt» folgende Anregungen:

  • Das persönliche Methodenrepertoire analysieren und schrittweise erweitern
  • Lehrgänge, Projekt- und Freiarbeit ausbalancieren
  • Plenums-, Gruppenunterricht und Einzelarbeit ausbalancieren
  • Systematische Arbeit am Methodenrepertoire der Schülerinnen und Schüler (kein isoliertes Methodentraining, sondern integriert in die Arbeit an inhaltlichen Aufgabenstellungen)
  • Formen des Kooperativen Lernens in den Unterricht einbauen
  • Lernstandserfassungen einplanen und entsprechende Instrumente suchen oder entwickeln

Zu den allgemein geltenden Anregungen werden den HSU-Lehrpersonen noch für ihre Situation spezifische Balancierungsaufgaben zugemutet:

  • Balancieren zwischen dem Lehr-/Lernverständnis des Einwanderungslandes und demjenigen der eigenen Herkunftskultur.
  • Vermitteln der Erstsprachen, die oft Minderheitssprachen mit ‹geringem Status› in der Einwanderungsgesellschaft sind.
  • Zeitlich kleine Unterrichtsgefäße, die nicht zum obligatorischen Unterricht gehören.

Nebst diesen anspruchsvollen Balancierungsaufgaben kann der HSU auf eine Freiwilligkeit des Unterrichtsbesuchs und vermutlich auf große familiäre Unterstützung zählen (vgl. auch Kap. 2).

Als Orientierungs- und Reflexionshilfe zur konkreten Auseinandersetzung mit den Dimensionen des Würfelmodells eignen sich gut die folgenden Fragen, die in Bezug zum eigenen Unterricht reflektiert und diskutiert werden können:

Individuumsorientierung – Gemeinsamkeits- orientierung (Dimension Differenzierung)

  • Bestehen differenzierende Arbeitsformen (Planarbeit, Werkstattangebote bzw. Stationenarbeit etc.)?

  • Welche Bedeutung hat der Lerninhalt für die einzelnen Schülerinnen und Schüler (Lebensweltbezug, vgl. Kap. 5 sowie 6 B, Beispiel 1)?

  • Werden Gruppenbildungen bewusst gestaltet (Geschlecht, Leistung, Alter, Interesse)?

  • In welchen Situationen wird Kooperation initiiert, geübt und gelebt?

  • Wie werden Konflikte gelöst? Interkulturelles Konflikttraining als Bestandteil des HSU

  • Bestehen gemeinschaftsfördernde Formen (Rituale, Projekte, Klassenrat …)?


Entwicklungsorientierung – Sachorientierung (Dimension Lerninhalte)

  • Kann zwischen Kernstoff und Zusatzstoff differenziert werden?

  • Werden die Lerninhalte und Lernziele so differenziert, dass auf verschiedenen Lernstufen und gemäß unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden gearbeitet werden kann? (Vgl. 6 B, Beispiel 2)

  • Stehen verschiedene Hilfsmittel und das Lernen unterstützende Veranschaulichungen zur Verfügung?

  • Gibt es Instrumente, um den Lern- und Entwicklungsstand der einzelnen Schülerinnen und Schüler in ihrer Erst- oder Familiensprache zu erfassen?

  • Werden Lerngruppen auf unterschiedlichen Niveaus gebildet?


Schülerorientierung – Lehrpersonorientierung (Dimension Vermittlung)

  • Werden die Lehr- und Lernformen variiert?

  • Wie werden die Schülerinnen und Schüler zu einem selbstgesteuerten Lernen angeleitet?

  • Wie ist die Lernumgebung strukturiert?

  • Welche Hilfsangebote gibt es?

  • Wie werden die Lernprozesse begleitet und dokumentiert (z. B. Portfolios)?

  • Wie werden die Übungssequenzen gestaltet?

  • Wie werden die schwächeren Schülerinnen und Schüler angeleitet und begleitet?

  • Gibt es ein Tutor/innen-System (Lernpartnerschaften, Tandems)?

  • Welche Regeln, Abmachungen und Grenzen sorgen für ein gutes Arbeitsklima?


Je nachdem, wo sich die Lehrperson in den skizzierten Dimensionen des Würfelmodells bewegt, verändert sich auch ihre Rolle im Lehr- und Lernprozess. Je nach eigenem Rollenverständnis erfolgt wiederum die Wahl der Unterrichtsformen.


3. Erweiterte Lehr- und Lernformen

Lehren im Sinne von Vorzeigen, Erklären, Aufgaben- und Fragenstellen ist, wie oben aufgezeigt, immer noch wichtig, doch zunehmend rückt das selbstgesteuerte Lernen in den Vordergrund. Die Grafik unten visualisiert einige in der Praxis oft verwendete Unterrichtsformen gemäß ihrer Sozialform und der Unterrichtssteuerung. Die unterschiedlichen methodischen Ansätze, die heute in der Volksschule anzutreffen sind, werden einerseits auf der Achse «Sozialform» (von der Einzelarbeit bis hin zu Arbeiten mit der ganzen Schule) und andererseits zwischen den Polen «fremdgesteuert» (geführte, lehrpersonenzentrierte Unterrichtsformen) und «selbstgesteuert» (offene, schülerzentrierte Unterrichtsformen) verortet.

Bei der Achse «fremdgesteuert – selbstgesteuert» ist Vorsicht geboten. Bezeichnungen wie «lehrpersonenzentriert / geführt» und «schülerzentriert / offen» sind sehr allgemeine Umschreibungen von Unterricht, die sich auf die Steuerung durch die Lehrperson beziehen. Sie verleiten gerne zu Polarisierung. Offene Lernsituationen sind geführten Unterrichtssequenzen als solche weder über- noch unterlegen. Der Grad an Offenheit bzw. Führung ist nicht entscheidend für die Qualität von Unterricht. Geführte Unterrichtssequenzen können sehr wohl offene und kognitiv anregende Aufgabenstellungen beinhalten. Bei offenen Lernsituationen, in welchen Schülerinnen und Schüler z. B. Reihenfolge, Dauer und Sozialform bestimmen, können die Angebote wiederum sehr eingeengt sein, indem Bearbeitungswege vorgegeben und Aufgaben mit einem einzigen richtigen Ergebnis gelöst werden. Dies ist für den HSU von Bedeutung. Lehrpersonen, die sich von ihrer Ausbildung her eher an einem fremdgesteuerten Frontalunterricht orientieren, können ihr methodisches Repertoire sehr wohl vorsichtig und kleinschrittig erweitern. Als zentrales Ziel sollte immer das wirksame Lernen im Mittelpunkt der Unterrichtsvorbereitung und -reflexion stehen. Dabei ist stets zu beachten: Je offener der Unterricht, umso wichtiger ist eine klare Strukturierung. Die Lern-Systematik in offenen Unterrichtsformen ist nicht kleinschrittig und folgt nicht einem linearen Vorgehen. Viel eher findet das Lernen in einem Erfahrungsraum statt. In diesem Raum sind verschiedene Wege möglich. Bestimmte Koordinaten geben Orientierung und helfen, ein angestrebtes Lernziel zu verfolgen.


4. Verschiedene Lehr- und Lernformen im Überblick

Keine der Lehr- bzw. Lernformen kann alles leisten. Jede hat Vor- und Nachteile und ist für spezielle Zielsetzungen und Lerninhalte besonders geeignet. Die folgende, unvollständige Zusammenstellung soll einen Überblick geben, wobei der Schwerpunkt auf die sogenannt erweiterten Lehr- und Lernformen gelegt wird. Eine Vielfalt von methodischen Variationen dieser Grundformen wird kurz und anschaulich im Buch «Methodenprofi» (Assmann, 2013) dargelegt.

Frontalunterricht

ist meist thematisch orientierter und sprachlich vermittelter Unterricht. Die Lehrperson steuert und kontrolliert die gemeinsam arbeitende Klasse. Dazu gehören auch Phasen der Einzelarbeit.

Wesentliche Merkpunkte
  • erarbeitete Inhalte festhalten
  • Ziele transparent machen
  • Einstreuen von Einzel-, Partner- und Gruppenarbeiten ermöglicht Differenzierung
  • ausreichende Anschauung berücksichtigen
Beispiele für den Unterrichtseinsatz

Überblick geben

Vermittlung grundlegender Sachinformationen, die für weitere fachliche Lernschritte unabdingbar sind

Beachten für HSU Gut ist, wenn immer wieder kurze Sequenzen (5–15’) von Einzel- bzw. Partnerarbeiten eingestreut werden, die z.B. Aufgabenstel- lungen beinhalten, welche nach Leistungsniveaus unterschiedlich gelöst werden.

 

Werkstattunterricht (Posten-/Stationenarbeit)

besagt, dass im Schulzimmer oder an verschiedenen Orten Arbeitsposten resp. «Stationen» eingerichtet sind, an denen die Schülerinnen und Schüler Lern- und Arbeitsaufträge nach mehr oder weniger freier Wahl selbstständig bearbeiten. Lern- und Arbeits- aufträge werden individuell in der Abfolge gewählt und nach Interesse gelöst. Die dazugehörigen Unterlagen und Materialien sind vorgängig von der Lehrperson bereitgelegt worden.

Wesentliche Merkpunkte
  • klare, transparente Ziele
  • einfache, verständliche und kurze Arbeitsaufträge, welche selbstständig lösbar sind
  • verschiedene Lernmaterialien, welche verschiedene Lernkanäle ansprechen
  • angepasste Lernbegleitung durch Lehrperson
  • Gemeinschaftsbildung beachten. Bei längeren Arbeitsphasen in Werkstätten Austauschphasen
    in der Klasse organisieren oder Gruppenaufträge bereitstellen
Beispiele für den Unterrichtseinsatz
  • fördert Selbstständigkeit und Eigenverantwortung
  • ermöglicht Differenzierung
  • Erfahrungswerkstatt: Selbstständiges Entdecken und Erfahren von Lerninhalten (z.B. 6 B, Beispiel 2)
  • Übungswerkstatt
    (z.B. Wortschatz erweitern)
Beachten für HSU
  • Postenarbeit oder Stationenar- beit in kleinerem Umfang (2–6 Lektionen); eignet sich gut z.B. nach einer kurzen Einführung in die Grundlagen eines Themas.
  • Erfahrungswerkstatt: Zu einem Thema werden unterschiedliche Lernangebote aufgelegt, welche nach individuellem Lernstand und Interesse bearbeitet werden können.

 

Planarbeit (Wochenplan oder Tagesplan)

Im Planunterricht erhalten die Lernenden in Form eines Plans schriftliche Aufträge aus verschiedenen Fachbereichen, die sie im Laufe einer vorgegebenen Zeitspanne (z. B. Halbtag, Tag oder Woche) in den dafür zur Verfügung stehenden Lektionen bearbei- ten. Für einen Fachunterricht wäre auch Planarbeit über wenige Lektionen denkbar.

Wesentliche Merkpunkte
  • verschiedene Lernkanäle berücksichtigen
  • Pflichtanteil und Zusatzauf- gaben festlegen
  • klare Zielsetzung
  • Plan/Heft zum Planen und Eintragen der erledigten Arbeiten
  • Reflexion/Lerngespräch über das Lern- und Arbeitsverhalten
Beispiele für den Unterrichtseinsatz
  • fördert Selbstständigkeit und Eigenverantwortung
  • ermöglicht Differenzierung
  • individuelle Schwierigkeiten aufarbeiten
    (z.B. Rechtschreibetraining)
  • Übungs- und Gestaltungsauf- gaben aufnehmen
  • auch den musischen Bereich berücksichtigen
Beachten für HSU Planarbeit ist im HSU nur in Mini- Zeitfenstern möglich. Sie kann aber zur individuellen Vertiefung eines Themas hilfreich sein.
Nach einer Einführung könnten
für eine Unterrichtseinheit auf
die Lernbedürfnisse abgestimmte ‹Kurzpläne› erstellt werden, welche ausreichend Aufgaben enthalten, so dass die Kinder eine Auswahl haben und diese selbstständig bearbeiten können.
Dies ermöglicht der Lehrperson, während der Lektionen mit den Kindern einzeln zu arbeiten oder ins Gespräch zu kommen.

 

Gruppenarbeit / Kooperatives Lernen

bezeichnet Lernarrangements wie Partner- und Gruppenarbeiten, um eine gemeinsame Lösung eines Problems oder ein gemeinsam geteiltes Ver- ständnis einer Situation zu entwickeln.

Wesentliche Merkpunkte
  • strukturierte Gruppenaufträge mit Rollen und Rollenwechsel
  • Formen des «cooperative lear- ning» (nach dem Prinzip «think, pair, share», d. h. Arbeit in den drei Phasen: 1. individuelles Nachdenken, 2. Bildung von Zweiergruppen, Diskussion, 3. Präsentation und Diskussion der Ergebnisse in der Klasse)
  • Lernen durch Lehren
Beispiele für den Unterrichtseinsatz
  • Partnerarbeit, Gruppenarbeit
  • Lerntandems oder Lernpartner- schaften
  • Gruppenpuzzle (vgl. 6 B, Beispiel 1)
  • Expertensysteme; Schreibkonfe- renz etc. Auch den musischen Bereich berücksichtigen!
Beachten für HSU Alle Formen von Paar- und Grup- penarbeiten bis hin zum Gruppen- puzzle (vgl. 6 B, Beispiel 1) oder weitere Formen des Kooperativen Lernens sind sehr gut im HSU einsetzbar.

 

Im Projektunterricht

bearbeitet eine Gruppe ein gemeinsames Ziel (Aufgabe, Endprodukt). Sie plant das Vorgehen und arbeitet handlungsorientiert auf das Ziel zu. Es sind auch individuelle Projektarbeiten möglich.

Wesentliche Merkpunkte
  • Themenfindung, Zielsetzung mit den Beteiligten
  • angepasste Lernbegleitung durch Lehrperson
  • Reflexion der Arbeit und des Prozesses
Beispiele für den Unterrichtseinsatz
  • eine Schulreise, eine Exkursion gemeinsam planen
  • eine Ausstellung gemeinsam entwickeln
Beachten für HSU Ausgedehntere Projekte, die sich in der Volksschule über eine ganze Unterrichtswoche dehnen können, sind im HSU vermutlich schwieri- ger zu realisieren. Das 2. Beispiel unter 6 B ist in der Grundanlage aber auch als projektartiger Unter- richt angelegt. Kleinere Projekte sind durchaus realisierbar.

 

Freie Arbeit / freie Tätigkeit

Lernende gehen für einen bestimmten Zeitraum (eine halbe Stunde pro Woche bis zur längerfristi- gen Semesterarbeit) eigenen Interessen und Frage- stellungen nach, machen dabei neue Erfahrungen und erwerben vertieftes Wissen.

Wesentliche Merkpunkte
  • bei der Einführung Ideenliste mit Möglichkeiten anbieten (Anregung, Entscheidungshilfe)
  • anregende Lernumgebung mit verschiedenen Materialien
  • angepasste Lernbegleitung durch Lehrperson
  • Austausch der Ergebnisse (Produkte)
Beispiele für den Unterrichtseinsatz
  • selbstgestellten Fragestellungen nachgehen
  • Gestaltungsarbeiten
    (Bilder, Plakate, Fotos, Modelle etc. zu einer thematischen Sequenz erstellen, suchen etc.)
  • z.B. Semester-/Projektarbeit in der Sekundarschule
Beachten für HSU Diese Unterrichtsform wird im HSU angesichts der beschränkten Zeit nur in Ausnahmefällen zum Zug kommen. Sie lässt sich aber gut mit den Formen Werkstatt- und Projektarbeit kombinieren, was angesichts ihres attraktiven Charakters auch ein- bis zweimal pro Jahr gemacht werden soll. Dies kann entweder in Form wirklich frei gewählter Aktivität (z.B. zum Thema «Aus dem Leben unserer Großeltern») geschehen oder in Form eines «Lernbüffets», bei dem die Lehrperson ein An- gebot von Lerngelegenheiten mit Lernspielen, Büchern, Computer, Druckerzeugnissen als offenes Selbstbedienungsangebot zur Ver- fügung stellt.

 

In Rollenspielen

spielen Lernende vorgegebene oder selbstbe- stimmte Situationen.

Wesentliche Merkpunkte
  • klare Rollenanweisungen
  • Gelegenheit zur Vorbereitung der Rolle
  • Besprechung des Spiels
Beispiele für den Unterrichtseinsatz
  • Spielen von Problem- und Konfliktsituationen
    (inkl. Lösungsansätze)
  • sich in eine andere Rolle versetzen (z.B. Person aus der Geschichte)
  • Nachspielen von gelesenen Texten, Vertiefung des Lesever- ständnisses
Beachten für HSU Sehr geeignet für den HSU in sämtlichen Klassen. Eventuell kann und soll eine Niveaudifferenzie- rung und Hilfestellung durch Rol- lenanweisungen erreicht werden. Rollen können auch von Schülern und Schülerinnen ausformuliert werden.

 

In Planspielen

wird die Wirklichkeit anhand bestimmter Situatio- nen und Rollen nachgespielt.

Wesentliche Merkpunkte
  • klare Situationsvorgabe
  • klare Rollenbeschreibungen
  • Reflexion über den Spielverlauf (inhaltlich, persönlich)
Beispiele für den Unterrichtseinsatz
  • Simulation von Wirklichkeit (z.B. Einrichten eines Migrant/- innenparlaments in der politi- schen Gemeinde)
Beachten für HSU
  • Wird erst ab 8. Schuljahr empfohlen
  • Erfordert viel Vorbereitung für Rollenbeschreibungen, welche im Umfeld gesucht oder selber geschrieben werden müssten.

Schüler und Schülerinnen können sich durch eine sinnvolle, angemessene Variation von methodischen Zugängen motivieren lassen. Nebst den neuen Lernformen motivieren heute auch die neuen Medien, die neue Möglichkeiten für Wissenserwerb und niveauangepasste Aufträge ermöglichen (vgl. 6 B, Beispiel 2, Internetrecherche).

Es kann jedoch leicht passieren, dass zwar methodisch vielfältig gearbeitet wird, ohne dass aber wirklich tiefgründiges und nachhaltiges Lernen erreicht wird. Wirksames Lernen erfordert vor allem anregende, die Schülerinnen und Schüler motivierende und herausfordernde Lernaufgaben.


5. Qualitativ hochstehende Lernaufgaben

Entscheidend ist letztlich nicht die auf den ersten Blick sichtbare Aktivität, sondern die meist weniger offensichtliche Qualität der Aufgabenstellungen und die individuelle Anregung und Aktivierung der Schülerinnen und Schüler. Diese Erkenntnis wird durch eine neuere Untersuchung von John Hattie (2009) gestützt. In einer aufwendigen Auswertung von internationalen Wirksamkeitsstudien konnte er aufzeigen, dass – nebst den Schülerfaktoren, welche die Hälfte der Leistungsunterschiede erklären – den Lehrpersonen bzw. der Qualität ihres Unterrichts die größte Bedeutung für erfolgreiches Lernen zukommt (30%). Sichtbare Strukturen wie methodische Arrangements sind weniger wichtig als häufig angenommen. Entscheidend ist der Anregungsgehalt der Lernaufgaben, welche von der Lehrperson passgenau in die methodische Struktur eingebettet werden (vgl. hierzu auch Kap. 3).

Reusser (2009) unterscheidet in diesem Zusammenhang die Oberflächenstruktur des Unterrichts von einer Tiefenstruktur. Unter «Oberflächenstruktur» versteht man die sichtbaren Merkmale von Unterricht, also z. B. das beobachtbare methodische Handeln bzw. die gewählten methodischen Lehr- und Lernformen. Die Tiefenstruktur hingegen zielt auf Verstehen und nachhaltiges Lernen ab, welche sich zwar auf methodisches Handeln beziehen, aber nicht in jedem Fall unmittelbar beobachtbar sind. Welche Zusammenhänge zwischen Oberflächenstruktur und Tiefenstruktur bestehen, ist noch nicht vollständig geklärt. Wir können aber davon ausgehen, dass eine Erweiterung der Lernformen hilfreich für eigenständige und nachhaltige Lernprozesse ist. Der Formulierung und Kreation von guten Lernaufgaben ist daher in jeder Unterrichtsform besondere Beachtung zu schenken.

In diesem Zusammenhang kommt guten Lernaufgaben eine zentrale Bedeutung zu. Sie erfüllen im Idealfall folgende Kriterien (Reusser, 2013):

  • Sie thematisieren das Wesentliche eines Fachbereiches und ermöglichen den Aufbau von fachspezifischem Wissen.
  • Sie sind in sinnstiftende Kontexte eingebunden, haben einen hohen Alltagsbezug und wecken die Neugier (vgl. Kap. 5).
  • Sie ermöglichen und fördern die selbstständige Konstruktion und Anwendung von Wissen.
  • Sie motivieren dazu, sich auf einen Lerninhalt einzulassen, und laden ein, vertieft zu verstehen.
  • Sie erlauben, Problemlöse- und Lernstrategien zu trainieren.
  • Sie lassen sich auf unterschiedlichen Niveaus lösen und eignen sich daher für schwächere und starke Schülerinnen und Schüler.
  • Sie erlauben vielfältige Zugänge, Denk- und Lernwege.
  • Sie schaffen die Voraussetzung, Lernerfolg durch erfolgreiches Bearbeiten zu erleben.

 


6. Fazit

Viele Kinder und Jugendliche bringen vom regulären Unterricht her Erfahrungen mit erweiterten Lernformen in den HSU mit. Daher lohnt es sich für die HSU-Lehrpersonen sicher, ihr methodisches Handlungsrepertoire zu erweitern. Dies hilft, den HSU und den regulären Unterricht näher aneinanderzurücken und eine Brücke zwischen den beiden Schultypen zu schlagen.

Dabei darf aber nie vergessen werden, dass die Methode oder Lernform als solche noch kein wirksames Lernen bewirkt. Aufgabenstellungen können meist in verschiedenen Lernformen so formuliert werden, dass sie individualisierte und vertiefte Lernprozesse anregen. Nebst der Methodenvielfalt ist daher vorrangig auf die jeweilige ziel- und inhaltsspezifische Angemessenheit des methodischen Vorgehens und auf die Qualität der Lernaufgaben zu achten. Die beiden Unterrichtsbeispiele in Kap. 6 B konkretisieren dies und veranschaulichen ein mögliches Vorgehen im HSU mit erweiterten Lehr- und Lernformen.


Literaturhinweise

Amt für Volksschule Thurgau (Hrsg.) (2013): Lern- und Unterrichtsverständnis. Entwicklungen im Überblick. Frauenfeld. (Download unter: www. av.tg.ch gThemen/Dokumente g Lern- und Unterrichtsverständnis).

Assmann, Konstanze (2013): Methodenprofi. Kooperatives Lernen. Oberursel: Finken.

Eckhart, Michael (2008): Zwischen Programmatik und Bewährung – Überlegungen zur Wirksamkeit des offenen Unterrichts. In: Kurt Aregger; Eva Maria Waibel (Hrsg.): Entwicklung der Person durch Offenen Unterricht. Augsburg: Brigg, S.77–110.

Friedli Deuter, Beatrice (2013): Lernräume. Kinder lernen und lehren in heterogenen Gruppen. Bern: Haupt.

Hattie, John A.C. (2009): Visible Learning. A Synthesis of over 800 Meta-analyses to Achievment. Oxon:

Keller, Martin (2009): Heutige Lehr- und Lernformen – oder: Vom Lehren zum Lernen. Zürich: Pädagogische Hochschule Zürich. Unveröffentlicht.

Meyer, Hilbert (2011): Was ist guter Unterricht? Berlin: Cornelsen.

Reusser, Kurt (2009): Unterricht. In: Sabine Andresen, (Hrsg.): Handwörterbuch Erziehungswissenschaft. Weinheim: Beltz, S. 881–896.

Reusser, Kurt (2013): Aufgaben – das Substrat der Lerngelegenheiten im Unterricht. Profil 3/2013. Bern: Schulverlag, S 4–6.


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