1. Attila Ender: Überlegungen zu Chancengleichheit, interkultureller Kompetenz und Demokratieerziehung

Attila Ender stammt aus der Türkei. Er lebt seit 33 Jahren in Wien, wo er als HSU-Lehrer für Türkisch und als ehrenamtlicher Bewährungshelfer arbeitet.

Obwohl viel von der jeweiligen Klassenzusammensetzung und Schulatmosphäre abhängt, lässt sich mit Blick auf den Schulalltag und die pädagogischen Siege und Niederlagen eines Muttersprachenlehrers doch einiges verallgemeinern. Ich beschränke mich auf drei Gesichtspunkte.

Chancengleichheit

Im Schulalltag kann man von Chancengleichheit wirklich nur in seltenen Fällen sprechen. Die meisten Familien mit türkischem Hintergrund bewohnen kleine, alte Wohnungen in niedriger Preiskategorie. In kaum einer Wohnung habe ich Bücher bzw. Musikinstrumente gesehen. Dafür steht in fast jeder Wohnung ein überdimensionales Fernsehgerät.

Die meisten Eltern sprechen entweder gar nicht oder nur mangelhaft Deutsch. Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind die Mütter Hausfrauen. Mangels Sprachkenntnissen können sie den Kindern in schulischen Angelegenheiten kaum behilflich sein.

All dies bedeutet, dass mit Bezug auf das Elternhaus von gleichen Chancen etwa mit österreichischen Kindern aus der Mittelschicht keine Rede sein kann. Umso wichtiger wird das, was die Schule oder der HSU kompensatorisch an Unterstützung anbietet.

Als Gegenmaßnahme habe ich vor einigen Jahren mit einer Kollegin ein sehr erfolgreiches Mütterprojekt initiiert. Dabei haben wir in regelmäßigen Abständen Hausbesuche gemacht und über wichtige pädagogische Themen diskutiert. Nach anfänglicher Skepsis haben die Mütter sich geöffnet und interessiert mitgemacht. Zwei besuchten sogar einen Deutschkurs, um ihren Kindern besser helfen zu können.

Förderung der interkulturellen Kompetenz

Was dieses Thema betrifft, muss man die Rolle der lokalen Moscheen und religiösen Vereine unbedingt erwähnen. In den letzten 10 bis 15 Jahren haben die meisten von ihnen aus politischen und finanziellen Gründen viele Eltern unter ihren Einfluss genommen. Dadurch ist bei etlichen Eltern ein fundamentalistisches Weltbild entstanden. Durch dieses Weltbild entfernen sich nicht wenige Kinder von ihren Klassenkameraden. Die Neigung zur Selbstisolation nimmt zeitweise schmerzhafte Ausmaße an.

Als Gegenmaßnahme bilde ich als Fussballtrainer der Schule «durchmischte» Mannschaften, um eine neue Corporate-Identity zu schaffen und neue Gemeinsamkeiten entstehen zu lassen.

Demokratieerziehung

Ich denke, dieses Thema ist der Kulminationspunkt aller Bemühungen. Eine erfolgreiche Demokratieerziehung könnte den Großteil der aktuellen Problemen lösen. Da die meisten Eltern vor der Einwanderung einfache Bauern waren, ist eine demokratische Denkweise allerdings nicht immer vorhanden.

Zur Demokratieerziehung setze ich oft Rollenspiele ein. Wir spielen z. B. Entscheidungsspiele (Wer trifft Entscheidungen: nur einer oder soll jeder seine Meinung sagen?). Oder wir machen Spiele zu den Rollen von Frauen und Männern und erleben dabei, dass beide Geschlechter die gleichen Rechte haben sollten. Diese Rollenspiele machen den Kindern viel Spaß; fraglos sind sie auch erzieherisch bedeutsam.


2. Nexhmije Mehmetaj: Planung einer Doppellektion zum Prinzip Geschlechtergerechtigkeit/Gender für drei Alters- und Niveaugruppen

Nexhmije Mehmetaj stammt aus Kosovo/Kosova. Sie lebt seit 1993 im Kanton Jura in der Schweiz, wo sie den albanischen HSU-Unterricht aufgebaut hat und leitet; daneben ist sie Autorin von Lehrmitteln und pädagogischen Sachtexten.

Übergreifendes Thema und Ziel für alle drei Gruppen:

Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit und Genderfragen (Gleichwertigkeit von Jungen und Mädchen, Männern und Frauen). Daneben stufenspezifische sprachliche und soziale Ziele.

Inhalte und Ziele für die drei Alters- und Niveaugruppen:

  • Unterstufe (Klassen 1–3): Thema «Auch Mädchen spielen Fußball» (aus dem albanischen HSU-Lehrmittel «Ich und die anderen I»). Pädagogische Ziele: geschlechts- und rollenbezogene Vorstellungen und Vorurteile bewusst machen und diskutieren. Sprachliche Ziele: Lese- und Ausdruckskompetenz, Arbeit am grammatischen und syntaktischen Bewusstsein.

  • Mittelstufe (Klassen 4–6): Thema «Rechte und Pflichten von Jungen und Mädchen in unserer Klasse», hierzu Arbeitsblatt mit Diskussionsimpulsen. Ziele wie oben, mit Bezug auf die eigene Situation als Schüler/in.

  • Oberstufe (Klassen 7–9): Thema «Unsere Rechte als Kinder und Jugendliche», Behandlung mittels einer Kopie der Charta der Kinderrechte (Auswahl von 9–12 Rechten). Ziele wie oben; im sprachlichen Bereich mit Akzent auf Textanalyse, Begriffsbildung und Schriftlichkeit.

Ablauf der Doppellektion

Grau = Aktivitäten, bei denen der Lehrer/die Lehrerin teilnimmt.

Zeit Unterstufe/Niveau I Mittelstufe/Niveau II Oberstufe/Niveau III
 10‘ Gemeinsamer Einstieg ins Thema; moderierte Diskussion: Was ist «typisch» für Jungen, was ist «typisch» für Mädchen; stimmt das überhaupt? (Vorbereitete Impulse der Lehrperson)
 5‘   Erklärung der Aufgaben für die Schüler/innen der Mittel- und Oberstufe
 20‘ Die Lehrerin liest mit der Gruppe den Text «Auch Mädchen spielen Fußball» und klärt inhaltliche und sprachliche Unklarheiten.

Arbeit gemäß Auftrag:

Zu zweit die Impulse auf dem Arbeits- blatt «Rechte und Pflichten von Jungen und Mädchen in unserer Klasse» disku- tieren, Stellungnahmen notieren.

Arbeit gemäß Aufträgen:

  1. In Dreiergruppen je 3 Kinderrech- te gemäß den Impulsen auf dem Arbeitsblatt diskutieren.
  2. Jede Gruppe stellt ein Plakat (A3) zu ihren drei Rechten her und bereitet sich auf eine kurze Präsentation vor.
 20‘ Die Kinder bearbeiten zu zweit ein Blatt mit Fragen zum Text. Lektüre und Diskussion des Textes, Dis- kussion der Ergebnisse mit der Lehrerin. Vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema: Wer hat zu Hause welche Rechte und Pflichten?
 10‘ Pause
 20‘ Weiterarbeit am Blatt, dann Kreativauf- trag (alleine oder zu zweit): Zeichnung mit Mädchen und Jungen, die je etwas Rollen-Untypisches spielen oder machen.

Neuer Auftrag:

Text verfassen zum Thema «Das freut/ ärgert mich an meiner Rolle als Mädchen/ Junge» oder «Wenn ich ein Mädchen/ein Junge wäre».

Klärung, ob die Präsentationen bereit und o.k. sind.
Die Lehrerin verweist auf das Dokument mit sämtlichen 42 Rechten (Internet- Link), Aufforderung, dies zu Hause zu studieren.
 5‘ Einige Schüler/innen stellen ihre Zeich- nungen der Klasse vor. *)   Hören zu.
 5‘ Hören zu. 2–3 Texte werden vorgelesen. *) Hören zu.
 5‘ Hören zu. 1–2 Gruppen präsentieren und kommen- tieren ihr Plakat. *)
 5‘     Hausaufgaben erklären; Lied zum Schluss.

*) Diejenigen Kinder, die ihre Arbeit noch nicht präsentieren konnten, werden dies zu Beginn der nächsten Doppellektion als Einstieg tun.


3. Arifa Malik: Das Prinzip Interkulturalität am Beispiel «Farben»; eine Lektionsskizze

Arifa Malik stammt aus Bangladesch. Sie lebt in London, wo sie als HSU-Lehrerin für Bengalisch arbeitet.

Ziele


  • Inhaltlich: Die Schüler/innen (drei Altersgruppen) sollen sich mit Farben und mit den Farbadjektiven in ihrer Herkunftskultur (Bangladesch) und in England auseinandersetzen.

  • Sprachlich: Festigung der Farbadjektive in Bengalisch und Englisch. Für fortgeschrittenere Schüler/innen: Festigung der Schriftform in bengalischer Schrift; Vergleich der Bildung zusammengesetzter Farbadjektive (blaugrün, hellrot etc.) in beiden Sprachen.

 

Material


  • Karten A5 in verschiedenen Farben; Karten mit den dazugehörenden Farbadjektiven in Bengalisch; Karten mit den Farbadjektiven in Englisch.

  • Fotos (aus Bangladesch: z. B. traditionelle Kleidung, aus England: z. B. Trachten oder Fotos von Queen Elizabeth in verschiedenfarbigen Kostümen; beides im Internet zu finden), wenn möglich Originalkleider aus Bangladesch.

Ablauf

1. 5‘ Kurze Startaktivität:
Alle Schüler/innen sind vorne bei mir.
Ich sage, welche Kinder zusammen stehen müssen, und lasse sie raten, welches wohl mein Kriterium war.
(Lösung: die Farbe ihrer Pullover oder Hemden)
2. 5‘ Information über das Thema und die Ziele der Lektion. Als Einstieg nennen die Schüler/innen alle Farbadjektive, die sie in den beiden Sprachen kennen.
3. 10‘ Ich lege die farbigen Karten hin; die Schüler/innen ordnen die passenden Wortkarten in Englisch und Bengalisch zu. Wer die bengalische Schrift noch nicht beherrscht, lässt sich die bengali- schen Karten von einer älteren Schülerin vorlesen und spricht die Wörter nach.
4. 25‘

Arbeit an drei niveaudifferenzierten Lern- angeboten:

a) Kleider (oder Fotos davon) mit «einfa- chen» Farben (nur 1–2 Farben, keine oder nur einfache Muster). Auftrag: Farben benennen und aufschreiben, möglichst in beiden Sprachen.

b) Kleider (oder Fotos davon) mit kom- plizierteren Farben und Mustern. Auftrag; wie oben, möglichst genaue Beschreibung.

c) Kleider (oder Fotos davon) mit noch komplizierteren Farben und Mustern. Auftrag; wie oben, möglichst genaue Beschreibung plus evtl. persönlicher Kommentar.

Pause
5. 10‘ Jede Gruppe präsentiert kurz ihre Ergeb- nisse, die andern kommentieren.
6. 10‘ Sprachlicher Input:
Wie kann man verschiedene Töne einer Farbe in Bengalisch und Englisch ausdrü- cken (Wortbildung, z. B. light blue, dark blue etc.)? Hierzu evtl. Fotos von Queen Elizabeth in verschiedenen Kostümen zeigen, die Nuancen in beiden Sprachen benennen.
7. 10‘

Diskussion/Klassengespräch zum Thema «Farben in der bengalischen und in der englischen Kultur». Zuerst Vorbereitung/ Diskussion in 4 altersgemischten Grup- pen:

a) Welche Farben sind in Bangladesch/in England typisch für die Natur?

b) Welche Farben sind in Bangladesch/in England typisch für die Städte?

c) Welche Farben herrschen in Bangla- desch/in England generell vor?

d) Mit welchen Farben würdet ihr eure Stimmung charakterisieren, wenn ihr an Bangladesch/an England denkt?

8. 15‘ Diskussion/Klassengespräch zu den vier obigen Themen.
Schluss der Lektion.

 


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