Andreas Helmke,Tuyet Helmke


1. Einleitung

Was macht einen «guten» Lehrer, eine «gute» Lehrerin aus? Je nachdem, welche der vielfältigen Aufgaben des Lehrerberufs man zugrunde legt – Unterrichten, Erziehen, Beraten, Diagnostizieren, Innovieren –, wird die Antwort ganz unterschiedlich ausfallen. Aber auch wenn man sich auf das Kerngeschäft der Schule, den Unterricht, beschränkt, kann man nicht auf einfache Antworten hoffen: (1) Was «guter» Unterricht ist, hängt zunächst einmal davon ab, welches Zielkriterium man zugrunde legt, also «gut wofür?»: kurzfristiger Erfolg in der Schule oder langfristiger Erfolg in Studium und Beruf; fachliche Kompetenzen oder überfachliche Schlüsselkompetenzen? (2) Was «gut» ist, hängt auch von der Perspektive ab, d. h. «gut» aus wessen Sicht? Die Unterrichtsforschung zeigt, dass es zwischen Selbstbeurteilung des eigenen Unterrichts, kollegialem Feedback und Schülereinschätzung – siehe Kapitel 3 B – oft erhebliche Unterschiede gibt.

Im Folgenden geht es um das zweifellos zentrale Merkmal der Unterrichtsqualität, nämlich die Lernwirksamkeit. Hierzu gibt es aus Jahrzehnten empirischer Unterrichts- und Lehr-Lern-Forschung (teaching effectiveness), nicht zuletzt auf Grund der Hattie-Studie (2012), die den gesamten weltweiten Forschungsstand zu Bedingungen der Schulleistung gebündelt hat, eine solide Wissensbasis.


2. Lernförderliche Merkmale der Unterrichtsqualität

In der Bildungsforschung gibt es Konsens: Oberflächenmerkmale der Organisation (wie klassenübergreifender Unterricht, Klassengröße etc.) sind für den Lernerfolg ebenso wenig entscheidend wie der Einsatz bestimmter Methoden (wie Frontal- oder Offener Unterricht).

WWorauf es ankommt, ist die Kompetenz der Lehrpersonen, sind fachübergreifende Tiefenmerkmale der Qualität, die in jeder Schulart, für unterschiedliche Altersstufen und Fächer (und somit auch für den HSU) relevant sind.

Um diese Prinzipien lernwirksamen Unterrichts geht es im Folgenden.


2.1 Effizientes Klassenmanagement als Rahmenbedingung

Ein lernwirksamer Unterricht setzt bestimmte Rahmenbedingungen voraus, die unter dem Begriff «Klassenmanagement» zusammengefasst werden. Dazu gehören (a) die Etablierung und konsequente Einhaltung eines störungspräventiven Regelsystems, (b) die Nutzung der Unterrichtszeit für Lernprozesse («time-on-task»), (c) ein effizienter, d. h. möglichst sparsamer und unauffälliger Umgang mit Störungen sowie (d) der Aufbau von Handlungsroutinen, Signalen und Prozeduren, die die Unterrichtsabläufe vereinfachen und zugleich die Lehrperson entlasten.


2.2 Förderung der Informationsverarbeitung

Einer zweiten großen Gruppe von Merkmalen der Unterrichtsqualität ist gemeinsam, dass es sich um direkte Maßnahmen zur Förderung der Informationsverarbeitung handelt, d. h. zur Förderung, Erleichterung des Erwerbs und der Speicherung von Wissen. Lernwirksam ist demnach ein Unterricht, der durch folgende Merkmale charakterisiert ist:

  • Klarheit

Verständlichkeit und Verstehbarkeit aus Sicht der Schülerinnen und Schüler: Kohärenz des dargestellten Stoffes, erkennbarer roter Faden, aber auch sprachliche Prägnanz wie klare Diktion, angemessene Rhetorik, korrekte Grammatik, überschaubare Sätze sowie Vermeidung von Füll- und Verlegenheitswörtern, Phrasen, Unsicherheitsfloskeln («irgendwie», «was-weiß-ich», «ich-sag-mal», «quasi») und hinreichende Verstehbarkeit (Lautstärke, angemessene Modulation, Verwendung von Standardsprache, also Vermeidung von übermäßigem Regiolekt oder Dialekt).

  • Kognitive Aktivierung

Sie macht den Kern der Lernwirksamkeit aus und betrifft primär den Erwerb von Lernstrategien, Lerntechniken und von metakognitiven Kompetenzen, also Kenntnis und Steuerung des eigenen Lernens. Extrem lernförderlich, so hat die Hattie-Studie gezeigt, sind Szenarien des kooperativen Lernens, bei denen Schüler vorübergehend selbst die Rolle von Lehrenden übernehmen (reciprocal teaching, peer tutoring, WELL = Wechselseitiges Lehren und Lernen).

Hier trifft man auf das verbreitete Missverständnis, Lehrpersonen sollten sich auf die Rolle von Lernbegleitern oder -moderatoren zurückziehen. Im Gegenteil: Lehrpersonen müssen zu Beginn solcher Phasen des kooperativen Lernens und auch für den Erwerb von Lernstrategien eine überaus aktive Rolle spielen:

So müssen die Regeln und Prozeduren des kooperativen Lernens gründlich gelehrt und eingeübt werden, ehe es funktioniert. Und beim Erwerb von Lernstrategien ist das «Vormachen», z. B. in Gestalt des lauten Denkens, eine besonders lernwirksame Vorgehensweise.

  • Strukturierung

Erleichterung des Lernens durch Maßnahmen, die das Erkennen von Zusammenhängen und Verknüpfungen erleichtern, beispielsweise in Gestalt strukturierender Hinweise (Vorschau, Zusammenfassung, Hervorhebungen, advance organizer/vorgängiger Überblick über die Lernaufgabe).

  • Nicht-sprachliche Lernangebote

Nutzung vielfacher Möglichkeiten nicht-sprachlicher Lernsettings, insbesondere der Visualisierung (Abbildungen, grafische Darstellungen, Mindmap) und des handlungsorientierten Lernens, etwa in Gestalt szenischen Lernens (Bsp. «Körpermathematik»).

  • Konsolidierung

Schaffung ausreichend vieler Gelegenheiten für die Anwendung, Übung und Sicherung, um das Gelernte zu festigen und das Vorwissen aufzufrischen. Wichtig ist dabei die Überlegung, dass – gerade im sprachlichen Bereich, etwa beim Lesen – bestimmte Fertigkeiten so automatisiert werden müssen, dass keine unnötige Gedächtniskapazität absorbiert wird. Nur so können komplexere Lernaufgaben bewältig werden. Dies erfordert sowohl «Überlernen» bis hin zur Automatisierung als auch «intelligentes Üben».


2.3 Förderung der Lernbereitschaft

Die im Folgenden aufgeführten Merkmale sind indirekt lernwirksam: Sie fördern die Lernbereitschaft, die ihrerseits das Lernen und die Leistung positiv beeinflusst.

  • Schülerorientierung

Gemeint ist, dass Lehrpersonen Einblick in die individuell unterschiedlichen Lernprozesse ihrer Schüler/innen nehmen und versuchen, das Lernen mit den Augen ihrer Schüler/innen zu sehen (Perspektivenübernahme, «kognitive Empathie»). Sie stehen in fachlichen wie fachübergreifenden Belangen als Ansprechpartner zur Verfügung, beteiligen Schüler/innen altersgemäß an Entscheidungen und holen Schülerfeedback zum Lernverhalten wie zur Wahrnehmung des Unterrichts ein.

  • Lernförderliches Klima

Dieses ist gekennzeichnet durch wechselseitigen Respekt, durch Freundlichkeit, Herzlichkeit und Wertschätzung seitens der Lehrperson sowie durch eine entspannte Lernatmosphäre, in der auch einmal gelacht und gescherzt wird – das Gegenteil wäre der Unterricht als «humorfreie Zone», wo es «nichts zu lachen gibt». Von überragender Bedeutung für das Lernen ist vor allem eine positive Fehlerkultur: Fehler, die in Lernphasen auftauchen, werden nicht negativ sanktioniert, sondern als Chance betrachtet, Einblick in laufende, noch nicht abgeschlossene oder ungünstig verlaufene Lernprozesse zu nehmen und Schüler/innen durch hilfreiche, passgenaue Rückmeldungen und Hinweise zu unterstützen. Auch ausreichende Wartezeiten auf Schülerantworten und Toleranz für Langsamkeit («Geduld») sind Elemente eines lernförderlichen Klimas.

  • Motivierung

Der Traum des Pädagogen sind Schüler/innen, die «ganz von alleine» lernen, weil ihnen die damit verbundene Tätigkeit Freude macht und ihnen günstigenfalls sogar Glücks-(«Flow»-)Erlebnisse verschafft. Es wäre jedoch naiv, im Kontext schulischen Lernens ausschließlich auf intrinsische Motivation zu setzen. Bildlich ausgedrückt: Je mehr Motoren angeworfen werden, damit Schüler/innen Lernaktivitäten initiieren und auch bei Schwierigkeiten oder Langeweile dabeibleiben, desto günstiger. Ein motivierender Unterricht regt deshalb auch extrinsische Motive an, insbesondere durch Thematisierung der Nützlichkeit und Wichtigkeit der Lernaufgaben (für den Alltag, für die Lebenswelt, für den Beruf oder die weitere Schulkarriere). Andere lernförderliche Motive sind Neugier (gefördert durch ein abwechslungsreiches Angebot), Konkurrenz (durch Wettbewerb mit anderen und mit sich selbst) sowie soziale Anerkennung (Wertschätzung, Lob durch signifikante Bezugspersonen, vor allem durch Lehrer und Eltern). Oft wird vergessen, dass Lehrpersonen vor allem auch durch ihr Vorbild motivieren («Lernen am Modell»): Erkennbare Lehrfreude, sichtbare Freude am Unterrichten, Engagement und Begeisterung («enthusiasm») wirken sich direkt (durch «emotional contagion») auf die Lernmotivation der Schüler/innen aus.


2.4 Kompetenzorientierung

Früher hat es ausgereicht, im Schulunterricht etwas «durchzunehmen» und sich dabei von entsprechenden Lehr- und Schulbüchern leiten zu lassen. Hier hat sich in den beiden letzten Jahrzehnten ein grundlegender Wandel vollzogen, und zwar im Sinne einer Orientierung an Kompetenzen. Ein kompetenzorientierter Unterricht folgt etwas anderen Regeln als der traditionelle, an der «Stoffdurchnahme» orientierte Unterricht: Lehrpläne, Aufgaben und Unterrichtseinheiten werden stärker von ihrem angestrebten Ertrag, also vom nachweislichen Können der Schüler/innen her konzipiert. Dies erfordert seitens der Lehrperson in vermehrtem Maße diagnostische Kompetenzen, d. h. die Kenntnis und den sachkundigen Einsatz von Messinstrumenten zur Erfassung von Kompetenzen – im Falle des HSU beispielsweise des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, zu dem auch Instrumente für die Selbsteinschätzungen der Schreibkompetenz vorliegen (https://www.uni-marburg.de/sprachenzentrum/lehrangebot/selbsteinschaetzung).


2.5 Umgang mit heterogenen Lern- voraussetzungen

Die Abstimmung des Unterrichts auf die unterschiedlichen und sich ständig verändernden Lernvoraussetzungen ist ein Kernelement der Unterrichtsqualität, wobei mit «Lernvoraussetzungen» nicht nur Unterschiede in den Vorkenntnissen gemeint sind, sondern auch Merkmale des kulturellen und sprachlichen Hintergrundes, Lernpräferenzen, Geschlechtsunterschiede und Behinderungen («Inklusion»). Das zugrunde liegende Grundprinzip ist das der Passung (d. h. dass Lernsituationen und -aufgaben sich möglichst optimal an den Voraussetzungen der Schüler/innen orientieren); daraus folgt die Notwendigkeit sowohl einer Variation der Inhalte und Methoden als auch der Anpassung der Aufgabenschwierigkeit und Unterrichtsgeschwindigkeit an die Gegebenheiten. Wichtig für den Erfolg von Maßnahmen der Differenzierung und Individualisierung ist, dass diese – nur als Methode oder Technik verstanden – per se keinen Mehrwert gegenüber herkömmlichem Unterricht darstellen, vielmehr kommt es auf ihre Qualität an: auf Dosierung, Takt und Timing, vor allem aber auf die Kopplung mit den zuvor beschriebenen allgemeinen Prinzipien lernwirksamen Unterrichts.

Es ist übrigens ein Mythos, ein bestimmtes Unterrichtsangebot sei für alle Schüler/innen einer Klasse gleichermaßen gut oder schlecht, lernwirksam oder wirkungslos – die Forschung zeigt klar, dass es robuste Wechselwirkungen zwischen Lehrmethode und Schülermerkmalen gibt:

So benötigen Schüler/innen mit brüchigen Vorkenntnissen und defizitären Kompetenzen ein starkes Gerüst «Scaffolding», ein kurzschrittiges Feedback und klare Strukturen; mit offenem Unterricht und entdeckendem Lernen wären diese Schüler/innen überfordert. Demgegenüber profitieren fortgeschrittene Schüler/innen, die bereits ausreichende Lernkompetenzen erworben haben, eher von offenen Lernszenarien.


3. Ausblick

Nun wird Unterricht nicht von Prinzipien oder Variablen, sondern von (Lehr-)Personen veranstaltet. So wichtig das Steuerungswissen zu Prinzipien lernwirksamen Unterrichts ist, so klar und gut belegt ist die Rolle der Lehrerprofessionalität und Lehrerpersönlichkeit. Obwohl nicht zentraler Gegenstand dieses Artikels, sollen abschließend einige Merkmale genannt werden, die für eine erfolgreiche Berufstätigkeit als zentral gelten; auch im Hinblick auf die Schüleräußerungen im Abschnitt 3 B erscheint dies zielführend. In Deutschland wird von Studierenden des Lehramtes verlangt, dass sie vom Anforderungsprofil des Lehrerberufs zumindest Kenntnis genommen haben, sei es im Portal CCT (Career Counseling for Teachers, siehe http://www.cct-switzerland.ch) oder im Portal «Fit für den Lehrerberuf» (Schaarschmidt & Kieschke, 2007; http://www.coping.at/index.php?fit-l-nutzen#).
Das letztgenannte Inventar umfasst Selbst- und Fremdeinschätzungen zu 21 anforderungsrelevanten Merkmalen in vier Bereichen: psychische Stabilität (Fähigkeit zur offensiven Misserfolgsverarbeitung, Frustrationstoleranz, Erholungs- und Entspannungsfähigkeit, Stabilität bei emotionalen Belastungen und Stressresistenz), Aktivität, Motivation und Motivierungsfähigkeit (Freude am Umgang mit Kindern und Jugendlichen, Verantwortungsbereitschaft, Humor, Wissens- und Informationsbedürfnis, Anstrengungs- und Entbehrungsbereitschaft, Begeisterungsfähigkeit und beruflicher Idealismus), soziale Kompetenz (Durchsetzungsvermögen in kommunikativen Situationen, soziale Sensibilität, Sicherheit im öffentlichen Auftreten und Freundlichkeit/Warmherzigkeit) und Grundfähigkeiten und -fertigkeiten (Stimme, Flexibilität, didaktisches Geschick, Ausdrucksfähigkeit und Fähigkeit zum rationellen Arbeiten).


Literaturhinweise

Hattie, John A. C. (2012): Visible Learning for Teachers. Maximizing Impact on Learning. London: Routledge.

Helmke, Andreas (2014): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts (5. Aufl., Schule weiterentwickeln – Unterricht verbessern. Orientierungsband). Seelze: Klett/Kallmeyer.

Schaarschmidt, Uwe; Ulf Kieschke (Hrsg.) (2007): Gerüstet für den Schulalltag. Psychologische Unterstützungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer. Weinheim und Basel: Beltz.


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