Anja Giudici


1. Einleitung

Sprachenförderung kommt auf der gesamteuropäischen politischen Ebene große Bedeutung zu. Lange war dabei vor allem das Erlernen der jeweiligen Schulsprache und einer weiteren europäischen Fremdsprache das deklarierte Ziel.

Mit der Verstärkung der internationalen Migration, der europäischen Integration und der zunehmenden Achtung der Minderheiten- und Regionalsprachen seit den 1990er-Jahren rückten auch die Herkunftssprachen der in den europäischen Schulen unterrichteten Kinder verstärkt in den Fokus der Politik.

Zwar verwies der Europarat schon 1977 in seiner «Recommendation 814 on Modern Languages in Europe» auf die Wichtigkeit des HSU, jedoch blieben diese ersten Empfehlungen sehr diffus. Oft wurden zudem die Regionalsprachen der nationalen Minderheiten nicht oder nur wenig von den Migrationssprachen unterschieden (siehe z. B. das «White Paper on Education and Training» der Europäischen Kommission von 1995 oder die 12. UNESCO-Resolution von 1999).

Dies hat sich verändert. In den neusten Empfehlungen von 2006 «Recommendation 1740. The Place of Mother Tongue in School Education» differenziert der Europarat zwischen «starken» und «schwachen» zweisprachigen Bildungsmodellen in Bezug auf den HSU. Als «stark» gelten jene Bildungssysteme, deren Ziel die Ausbildung der fremdsprachigen Schülerinnen und Schüler zu zwei- oder mehrsprachigen Individuen in Wort und Schrift ist. Als «schwach» werden hingegen Modelle bezeichnet, in denen der HSU nur Mittel zur effektiveren Förderung der Schulsprache ist. Der Europarat empfiehlt den Mitgliedstaaten, «starke» zweisprachige Modelle zu fördern, da diese für die gesamte Gesellschaft einen Vorteil erbringen würden. Zudem unterstützt der Europarat, beispielsweise durch die Plattform REPA-CARAP (carap.eclm.at; alle Webseiten wurden zuletzt am 17. Nov. 2014 aufgerufen), auch pädagogische Bemühungen in diesem Bereich.

Diese Empfehlungen werden jedoch in den europäischen Staaten unterschiedlich interpretiert. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, die verschiedenartigen Umsetzungen zu systematisieren und ihre Vor- und Nachteile aufzuzeigen.

Das System zu kennen, in dem der HSU im eigenen Land eingebettet ist, ermöglicht es, sich besser zu orientieren, die eigenen Rechte zu kennen und die daraus resultierenden Möglichkeiten wahrzunehmen. Zudem können die Erfahrungen und Leistungen anderer Staaten als Informationsgrundlage für die Arbeit an der Weiterentwicklung des HSU im eigenen Land dienen.

Die hier vorgestellten Informationen stammen vornehmlich aus drei Quellen: a) aus den im Rahmen der Arbeit der Europäischen Kommission verfassten Eurydice-Dokumenten, b) aus dem im Auftrag des Europarats erstellten Bericht «Language Rich Europe» (Extra & Yağmur, 2012) und c) aus der HSK-Datenbank der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) (http://www.edk.ch/dyn/18777.php) und dem Bericht «Unterricht in Heimatlicher Sprache und Kultur (HSK). Beispiele guter Praxis aus der Schweiz» (Giudici & Bühlmann, 2014). Diese Dokumente eignen sich als Grundlage für Nachforschungen vor allem insofern, als sie eine Fülle von Quellen und Verweisen enthalten.


2. Geschichte und Verbreitung des HSU

(Vgl. auch Kap. 1 A.7)

Heute findet wahrscheinlich im Großteil der europäischen Länder in irgendeiner Form HSU statt. Zwei Drittel der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben mittlerweile Empfehlungen in diesem Bereich erlassen (Eurydice, 2009, S. 22). Allerdings wird der HSU finanziell und organisatorisch meistens gänzlich von Seiten der Migrationsgemeinschaften getragen. Die staatliche Unterstützung ist vielerorts sehr begrenzt.

Die längste Tradition hat der HSU in den klassischen Einwanderungsregionen. Frankreich, Deutschland, Schweden oder die urbaneren Schweizer Kantone kennen HSU als Zusatzangebot der Regelschule – geregelt durch formale Abkommen mit den jeweils wichtigsten Herkunftsstaaten – seit den ersten größeren Einwanderungswellen der 1970er-Jahre; teilweise gab es solche Angebote aber schon in den 1930er-Jahren. Das damalige Ziel des HSU war allerdings nicht primär die Förderung der sprachlichen Kompetenzen der eingewanderten Kinder, sondern die Erhaltung von deren Bezug zu ihrem Herkunftsland, damit sie nach der Rückkehr dorthin den schulischen Anschluss schaffen würden. Diese Tradition spielt insoweit immer noch eine Rolle, als in manchen Ländern staatliche Unterstützungen auf diese traditionelle Einwanderungsländer bzw. -gruppen begrenzt werden.

Mit der Zunahme der internationalen Migration und der europäischen Integration begannen auch andere Staaten, den HSU anzuerkennen und teilweise zu unterstützen. Insbesondere in den neuen Staaten der EU führte die Anerkennung der jeweiligen nationalen Minderheiten zur Etablierung breit angelegter Programme zur Förderung von deren Erstsprachen, wovon auch die Migrationsgemeinschaften profitieren konnten.

Der Grad und die Art der staatlichen Unterstützung des HSU werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Der Umstand, dass der HSU vor allem in den traditionellen Einwanderungsstaaten und -städten verbreitet ist und dort auch stärker staatlich unterstützt wird, weist darauf hin, dass die Präsenz größerer Gruppen von fremdsprachigen Migranten die staatlichen Bemühungen in diesem Bereich fördern kann. Allerdings lässt sich kein direkter diesbezüglicher Zusammenhang nachweisen (Eurydice, 2009, S. 31). Andere Einflussfaktoren wie die politischen Zielsetzungen einer Gemeinschaft, der Aufbau und insbesondere die Zentralisierung des Schulsystems spielen in dieser Frage eine ebenso wichtige Rolle.


3. Modelle des HSU in Europa

Es ist schwierig, die einzelnen Staaten mit Blick auf ihren Umgang mit dem HSU eindeutig zu kategorisieren.

In den dezentral organisierten Staaten – insbesondere Großbritannien, Deutschland, Spanien und der Schweiz – können je nach Region unterschiedliche Modelle existieren. Aber auch in manchen zentral organisierten Staaten – z. B. Schweden – haben die einzelnen Schulgemeinden diesbezügliche Kompetenzen. Vielerorts haben einzelne Städte, z. T. mit staatlicher Unterstützung, eigene Projekte der Zusammenarbeit zwischen HSU und Regelschule ins Leben gerufen, so etwa in der Schweiz und in Spanien. Aus diesen Gründen sind auch die unten aufgeführten Beispiele auf verschiedenen Ebenen angesiedelt (Staat, Kanton/Region/Land, Stadt/Schulgemeinde).

Eine eindeutige Kategorisierung wird zudem dadurch verhindert, dass die Unterscheidung zwischen Sprachunterricht für nationale Minderheiten und HSU für die Migrationsgemeinschaften bisweilen schwierig ist. Manchmal können Angebote, die für die jeweiligen nationalen Minderheiten eingerichtet wurden, auch von Einwanderern oder Kindern mit Migrationshintergrund in Anspruch genommen werden. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich vor allem auf den HSU für Migrant/innen; Überlappungen sind jedoch nicht auszuschließen.

Die Komplexität und Mehrschichtigkeit in diesem Bereich ist der Grund, warum keine trennscharfen Kategorien gebildet werden können, denen sich die einzelnen Länder Europas klar zuordnen lassen. Angesichts dieser Tatsache schlagen wir eine Systematisierung vor, mit der bestehende Modelle anhand zweier Unterscheidungskriterien gruppiert werden können: einerseits in Bezug auf die Erhaltung des HSU als eigenständiges Fach (vs. Integration von dessen Inhalten oder der Herkunftssprachen in den regulären Unterrichtsbetrieb); andererseits in Bezug auf den Grad der staatlichen Unterstützung des HSU, unterschieden in keine, partielle und starke staatliche Unterstützung. Für jedes vorgestellte Modell werden ein oder mehrere Portraits von entsprechenden Regionen oder Ländern präsentiert, wobei je nach Ausgestaltung des jeweiligen Systems andere Merkmale in den Fokus genommen werden. Alternative systematische Vergleiche anhand von vorab festgelegten Kriterien finden sich in den oben zitierten Berichten und Dokumenten.

3.1 Unterstützung des HSU als eigenständiges Unterrichtsangebot

In den meisten Staaten existiert der HSU als eigenständiges Fach oder Unterrichtsangebot, wobei er mehr oder weniger mit der Regelschule vernetzt sein kann. Wir stellen einige Modelle, gruppiert nach Unterstützungsgrad seitens der Einwanderungsländer, vor.

a) Keine oder geringe Unterstützung

In vielen europäischen Einwanderungsländern wird der HSU von den Behörden nicht aktiv unterstützt, womit seine Organisation und Finanzierung der Initiative lokaler Vereinigungen oder den Herkunftsstaaten überlassen bleiben.

Solche Situationen bestehen vor allem in Ländern mit geringer oder eher jüngerer Einwanderung (z. B. Irland). Andernorts wurde bewusst auf eine Unterstützung verzichtet, wie das folgende Beispiel zeigt.

  • HSU in den Niederlanden

Die Niederlande reihten sich in den 1970er-Jahren noch in die Politik der großen Einwanderungsländer ein: Ab 1974 wurde der HSU staatlich unterstützt und gefördert (Benedictus-van den Berg, in Extra & Yağmur, 2012, S. 164). Damals fand der HSU als eigenständiges Angebot im Rahmen der regulären Schule statt und die Lehrpersonen wurden staatlich entlohnt. 2003/2004 wurde das Angebot jedoch aus den Primarschulen verbannt, was u. a. die Entlassung von 1400 Lehrpersonen mit sich brachte. Die Regierung begründete ihren Entschluss damit, dass das Erlernen der Lokal- und Schulsprache das vorrangige Ziel der niederländischen Integrationspolitik sei. Die staatliche Unterstützung des HSU behindere die Erreichung dieses Ziels (Extra & Yağmur, 2006, S. 55). Lokale Gemeinschaften (insbesondere die der türkischsprachigen Bevölkerung) sind seither bemüht, das Angebot weiter zu erhalten. Sie organisieren für die Primarschulen – in den niederländischen Sekundarschulen kann aus einer großen Auswahl an Fremdsprachen, darunter auch die Migrationssprachen Arabisch, Spanisch, Türkisch und z. T. Russisch, gewählt werden – den HSU eigenständig und versuchen auf dem Rechtsweg, die staatliche Unterstützung zurückzugewinnen. Bislang erfolglos: Die internationalen Gerichte vertreten die Haltung, dass der Entscheid des niederländischen Staates den europäischen Empfehlungen nicht widerspräche und die (Nicht-)Unterstützung des HSU Sache der Einzelstaaten sei (vgl. www.aa.com.tr/en/world/251542–turks-in-netherlands-struggle-for-education-in-mother-tongue).

Andere Länder, in denen keine formelle staatliche Unterstützung für den HSU existiert, sind Italien, Portugal, Wales oder Ungarn (vgl. Extra & Yağmur, 2012).

b) Partielle Unterstützung

Ein weiteres Modell ist, die Verantwortung für den HSU den lokalen Trägerschaften zu überlassen, sie aber in gewissen Bereichen staatlich zu unterstützen. Der Grad der Unterstützung kann dabei stark variieren und von der rein formellen Unterstützung des HSU über organisatorische Hilfestellungen (z. B. Räume zur Verfügung stellen) bis hin zur Finanzierung einzelner Schulprojekte oder lokaler HSU-Angebote reichen.

  • HSU in der Schweiz

In der föderalistisch organisierten Schweiz sind mehrheitlich die Kantone für das Bildungssystem und damit auch für die Unterstützung des HSU zuständig.

Eine Reihe von Kantonen hat sich allerdings 2007 durch Artikel 4.4 des sogenannten HarmoS Konkordats verpflichtet, den HSU durch «organisatorische Maßnahmen» zu unterstützen. Diese Verpflichtung wird in der Praxis freilich sehr unterschiedlich ausgelegt.

In einzelnen Kantonen werden die Schulen einzig informell dazu verpflichtet, den HSU-Trägerschaften Räume und Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. In den urbaneren Kantonen Zürich oder Basel hingegen wurden formelle Unterstützungs- und Koordinierungsverfahren entwickelt: Trägerschaften, welche sich verpflichten, gewisse Anforderungen zu erfüllen – u. a. einen konfessionell und politisch neutralen Unterricht anzubieten oder sich an geltende Rahmenlehrpläne zu halten –, werden formell anerkannt und von den Verwaltungen in der Organisation des HSU aktiv unterstützt. Die kantonalen Behörden koordinieren beispielsweise die Anmeldungen der Schülerinnen und Schüler, stellen die Raumverteilung und den Informationsfluss zwischen Schule und HSU sicher, organisieren Weiterbildungsangebote für die HSU-Lehrpersonen und sorgen dafür, dass die im HSU erreichten Leistungen in das offizielle Schulzeugnis der Kinder eingetragen werden (Giudici & Bühlmann, 2014).

  • HSU in Estland

Estland war bis 1991 Teil der Sowjetunion und ist daher ein vergleichsweise junger unabhängiger Staat mit einer relativ großen russischsprachigen Minderheit. 2003 wurden in Estland formelle Garantien für das Erlernen der Minderheitensprachen erlassen, 2004 wurden diese Garantien auch auf Personen mit Migrationshintergrund erweitert (vgl. Newly Arrived Children in the Estonian Education System, 2004, insb. Punkt 2.3).

Wenn mindestens zehn Schülerinnen oder Schüler es verlangen, müssen die Schulen ihnen gemäß diesen Richtlinien die Möglichkeit bieten, Unterricht in ihrer Herkunftssprache zu besuchen.

Die anfallenden Lohn- und Materialkosten obliegen dem estnischen Staat und der Unterricht findet während der regulären Schulzeit statt. Die Verantwortung für den HSU sowie dessen Ausgestaltung obliegen den jeweiligen Lehrpersonen, die einzig bei der Bewertung gewissen festgelegten Verfahren folgen müssen. Die fremdsprachigen Schülerinnen und Schüler dürfen seit 2006 auch ihre Erstsprache als dritte schulische Pflichtfremdsprache wählen. Das Angebot wurde bislang wenig genutzt (Eurydice, 2009, S. 25 f.).

c) Organisation des HSU durch das Einwanderungsland

Die Anzahl der Einwanderungsländer, die sich vollumfänglich um Finanzierung, Organisation und Durchführung des HSU kümmern, ist begrenzt. Jedoch haben einzelne Länder diesen Schritt getan, wobei der HSU in dieser Form vor allem auf der Primarstufe angeboten wird, während auf der Sekundarstufe die im HSU vertiefte Sprache oft als Fremdsprache gewählt werden kann (s. unten).

  • HSU in Österreich

1992 wurde in Österreich der HSU in das Regelschulangebot eingebunden. Der österreichische Staat hat die Regulierung, Sicherstellung und Kontrolle des Angebotes sowie teilweise dessen Finanzierung übernommen (Giudici & Bühlmann, 2014, S. 21 f.). Die Lehrpersonen des öffentlichen HSU werden von den Schulbehörden ausgewählt, angestellt und entlohnt.

Auch in Österreich gelten zehn interessierte Kinder als Voraussetzung für die Schaffung eines Angebots.

Mittlerweile werden etwa 23 Sprachen angeboten, die in der Regelschule parallel oder integrativ in zwei Wochenlektionen gelehrt werden.

«Parallel» meint, dass der HSU dann stattfindet, wenn Fächer gelehrt werden, die von den entsprechenden Kindern nicht besucht werden (z. B. Religionsunterricht). Im integrativen HSU werden die Inhalte der Regelschule in der Herkunftssprache unterrichtet. Da der HSU Teil des Regelschulangebots ist, wurde ein für die Lehrpersonen verbindlicher Lehrplan erstellt, der die Koordination des HSU und des Regelschulunterrichts fördern soll.

Der HSU wird in Österreich stark besucht. Im Schuljahr 2009/2010 nahmen fast 30% aller österreichischen Schulkinder daran Teil (Nagel et al. in Extra & Yağmur, 2012, S. 84 f.; www.schule-mehrsprachig.at).

  • HSU in Schweden

In Schweden wurde der HSU 1975 als Integrationsmaßnahme in die Regelschule eingegliedert. In den meisten Schulen wird dieser Unterricht als zusätzliches Angebot bereitgestellt, wobei gemäß schwedischem Schulgesetz alle Kinder darauf Anspruch haben, bei denen eine andere Sprache als Schwedisch einen maßgeblichen Einfluss auf ihre Sozialisation ausübt. Etwa die Hälfte der Kinder, die diesem Kriterium entsprechen (1/5 der Schülerschaft), nimmt am HSU teil.

Mehr als 90 Sprachen werden in Volksschule und Gymnasium angeboten.

Für den HSU sind die Gemeinden verantwortlich. Sobald fünf Kinder einen Kurs wünschen, sind die lokalen Schulbehörden verpflichtet, diesen zu organisieren. In einigen städtischen Schulen wurden zudem HSU-Lehrpersonen fest angestellt, um für integrativere Unterrichtsmodelle zu sorgen (Lehmann, 2013; http://modersmal.skolverket.se).

  • HSU in Deutschland

In Deutschland sind die Bundesländer für die Bildungspolitik und somit auch für den HSU zuständig. Auf einer übergeordneten Ebene wird die Erstsprachenförderung von der Kultusministerkonferenz unterstützt. In den meisten deutschen Ländern obliegt die Organisation des HSU den Migrationsgemeinschaften. In Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wurde der HSU jedoch in die Regelschule integriert, womit die dortigen Schulverwaltungen für seine Organisation verantwortlich sind.

So wird in Nordrhein-Westfalen der HSU für die «am meisten gesprochenen Sprachen» staatlich organisiert, falls sich genügend Lernende anmelden. Die Behörden haben bindende Lehrplanvorgaben erlassen und eine Liste von zugelassenen Lehrmitteln erstellt. Um vom Staat angestellt zu werden, müssen die HSU-Lehrpersonen bestimmte sprachliche und fachliche Voraussetzungen erfüllen, zudem werden für sie obligatorische Fortbildungen organisiert (Giudici & Bühlmann, 2014, S. 19 f.; Gogolin et al. in Extra & Yağmur, 2012, S. 135 ff.)

3.2 Integration der Herkunftssprachen in die Regelschule

Im Falle der Integration der Herkunftssprachen in den Regelschulunterricht wird der klassische HSU als eigenes Lehrangebot aufgegeben und werden dessen Inhalte in anderer Form vermittelt. Einerseits können die Herkunftssprachen als Unterrichtssprachen in den regulären Fächern dienen, andererseits können sie in das Fremdsprachenangebot integriert werden, wodurch sie Teil des regulären Curriculums werden.

a) Herkunftssprachen als Fremdsprachen

Insbesondere auf der Sekundarstufe besteht in verschiedenen Ländern die Möglichkeit, bestimmte Herkunftssprachen als Fremdsprachen zu belegen.

Damit gelten die Herkunftssprachen als reguläre Unterrichtsfächer mit eigener Benotung, eigenem Lehrplan und Lehrzielen sowie Lehrmitteln. In den meisten Ländern gilt dieses Angebot ab der Sekundarstufe I, in England neuerdings auch auf der Primarstufe.

  • Fremdsprachen in England

Im neuen nationalen Curriculum (www.gov.uk/go vernment/collections/national-curriculum), das seit September 2014 in Kraft ist, ist die Einführung einer ersten Fremdsprache ab dem dritten und einer zweiten ab dem siebten Schuljahr vorgesehen. Schon vor dessen Einführung aber erfüllte fast die Hälfte der englischen Schulen diese Voraussetzungen. Die Schulen sind frei in der Wahl des Fremdsprachenangebots, müssen sich aber bei der Formulierung der Lehrziele an das nationale Curriculum halten. Die meistgewählte Sprache ist bislang Französisch, gefolgt von Spanisch (Board & Tinsley, 2014, S. 8). Die Migrationssprachen werden seltener unterrichtet, einige Projekte scheinen jedoch erfolgversprechend zu sein (vgl. http://www.bbc.co.uk/schools/primarylanguages).

  • Fremdsprachen in Frankreich

Den Lernenden der französischen Sekundarschulen steht ein breites Spektrum von Sprachen als Pflicht- und Wahlfächer zu Verfügung. Angeboten werden vor allem die Sprachen der EU-Mitgliedsstaaten sowie die Sprachen der Länder, die mit Frankreich bestimmte außenpolitische Ziele teilen (z. B. Arabisch, Chinesisch, Japanisch). Diese Sprachen können bis zur Maturität belegt werden, 2011 wurden bei den Prüfungen 57 Sprachen geprüft (Calvet in Extra & Yağmur, 2012, S. 118 ff.).
In Frankreich wurde HSU mit ausländischen Lehrpersonen an den staatlichen Schulen schon 1925 angeboten (Giudici & Bühlmann, 2014, S. 21). Die Bestrebungen zur Überführung des HSU in das schulische Fremdsprachenangebot sind hingegen neueren Datums und hängen insbesondere mit dem Ausbau des fremdsprachlichen Unterrichts an der Regelschule zusammen.

b) Sprachliche Gesamtförderung

Zu nennen sind schließlich einige regionale oder lokale Projekte, bei denen die Förderung der Herkunftssprache der Schulkinder in den Regelschulunterricht integriert wurde. Meist bedeutet dies, dass HSU-Lehrpersonen von den Regelschulen angestellt werden, um die Herkunftssprachen in den Klassenunterricht einzubauen und somit sämtliche Kinder mehrsprachig zu fördern. Solche Modelle wurden insbesondere in Städten mit einem großen Anteil fremdsprachiger Kinder entwickelt. Sie haben oft einen lokalen Charakter und fußen auf dem Engagement einzelner Personen oder Gremien. Gleichzeitig ist man bei der Realisierung oft auf die Unterstützung der regionalen oder nationalen Behörden angewiesen. Beispiele solcher Projekte findet man u. a. in der Schweiz (Basel-Stadt, Genf und Zürich), in Schweden und Österreich.


4. Schlusswort

Die hier aufgeführte Auswahl an Beispielen zeigt, wie unterschiedlich die verschiedenen Staaten mit dem Thema HSU und den damit verbundenen Erfordernissen umgehen. Sieht man von den Staaten ab, die keinerlei Unterstützung anbieten, lassen sich insbesondere zwei Koordinationsmodelle unterscheiden: Während die einen Staaten den HSU rein formell und organisatorisch fördern (so z. B. Estland oder Teile der Schweiz), nehmen andere Staaten aktiv auf die pädagogische Arbeit im Rahmen des HSU Einfluss (z. B. Österreich und einzelne deutsche Bundesländer).

Der Vorteil des ersten Modells ist die größere Freiheit, welche die Gemeinschaften in der Ausgestaltung des HSU haben, während gleichzeitig die finanzielle und numerische Ungleichheit zwischen den einzelnen Gemeinschaften durch Organisations- und Finanzierungshilfen z. T. ausgeglichen werden kann.

Der Vorteil einer stärkeren pädagogischen Einflussnahme der Behörden des Einwanderungslandes auf den HSU – z. B. durch die Erstellung von Lehrplänen, Lehrmitteln oder die Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen – liegt fraglos in der besseren Möglichkeit der Koordinierung zwischen HSU und Regelschule. Die Vernetzung der Inhalte und Methoden des HSU mit denen des Regelunterrichts oder gar die Eingliederung von Teilen des HSU in den Regelunterricht bringt für die Schüler/innen große Vorteile und fördert ihren Lernprozess. Zugleich können von einer stärkeren Integration des HSU auch die monolingual aufwachsenden Kinder profitieren.

Wichtig ist jedenfalls, die Sprachenpolitik des Landes, in dem man arbeitet, zu kennen. Nur so kann man auf verschiedenen Ebenen zu einer Verbesserung des HSU und von dessen Rahmenbedingungen beitragen. Dass die Kenntnis von guten Beispielen aus dem In- und Ausland diesbezüglich von großem Nutzen ist, leuchtet unmittelbar ein.


Literaturhinweise

Board, Kathryn; Teresa Tinsley (2014): Language Trends 2013/14. The State of Language Learning in Primary and Secondary Schools in England. CfBT Education Trust: London.

Eurydice (2009): Die schulische Integration der Migrantenkinder in Europa. Maßnahmen zur Förderung: der Kommunikation mit Migranten-familien; des muttersprachlichen Unterrichts für Migrantenkinder. Brüssel: Exekutivagentur Bil- dung, Audiovisuelles und Kultur. Link: http://eacea.ec.europa.eu/education/ eurydice/documents/thematic_reports/101de.pdf Extra, Guus; Kutlay Yağmur (2006): Immigrant Mino- rity Languages at Home and at School. A Case Study of the Netherlands. European Education 38 (2), S. 50–63.

Extra, Guus; Kutlay Yag˘ mur (2012): Language Rich Europe. Trends in Policies and Practices for Multi- lingualism in Europe. Cambridge: Cambridge University Press. Link: http://www.poliglotti4.eu/ docs/Language_Rich_Europe/LRE_English_
Language_Rich_Europe_-_Trends_in_Policies_and_ Practices_for_Multilingualism_in_Europe.pdf

Giudici, Anja; Regina Bühlmann (2014): Unterricht in Heimatlicher Sprache und Kultur (HSK). Eine Aus- wahl guter Praxis in der Schweiz. Bern: EDK, Reihe «Studien und Berichte». Link: http://edudoc. ch/record/112080/files/StuB36A.pdf

Newly Arrived Children in the Estonian Education System. Educational Policy Principles and Organi- sation of Education. Ministry of Education and Re- search, Tartu 2004. Link: http://sardes.nl/uploads/ Sardes/sardes_EU/Estonia_Newly_Arrived_
Children_in_the_Estonian_Education_System.pdf

Salzmann, Therese (2014): Blick über die Schweizer Grenzen. In: vpod Bildungspolitik (2014), Sonder- heft Nr. 188/189 «Die Zukunft des Erstsprach- unterrichts», S. 76–78.


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