Nuhi Gashi: Bemerkungen zum albanischen HSU in verschiedenen europäischen Ländern
Nuhi Gashi, M.A., war Lehrer und Schuldirektor, dann HSU-Lehrer in Berlin und ist seit vielen Jahren im Bildungsministerium der Republik Kosova für den albanischen HSU in Europa und Übersee zuständig. Durch seine zahlreichen Schulbesuche und Kontakte mit HSU-Lehrer/innen wie auch durch die von ihm organisierten Sommer-Seminare für albanische HSU-Lehrer/innen aus der ganzen Welt kennt er die Situation des HSU in verschiedenen Ländern sehr gut und ist prädestiniert, einen diesbezüglichen Überblick und Vergleich anzustellen, der auch für andere Sprachgruppen Gültigkeit haben dürfte. Der Text ist gegenüber dem Originalmanuskript gekürzt.
Überblick
Albanischer herkunftssprachlicher Unterricht (HSU) wird in vielen Staaten angeboten, in denen Albaner/innen leben. Er wird vor allem von den Angehörigen der neueren Diaspora (ab 1960er-Jahre) besucht und weniger von jenen der früheren Emigrationswellen. Bis in die 1990er-Jahre war der albanische HSU vielerorts Teil des jugoslawischen HSU, innerhalb dessen er allerdings oft ein ziemliches Schattendasein führte (inhaltliche Restriktionen, stark beschnittenes Angebot). In Zusammenhang mit den zunehmenden politischen Spannungen, die im Kosova-Krieg (1998/99) und der Unabhängigkeitserklärung von Kosova im Jahre 2008 gipfelten, wurden bereits 1990–1995 eigene Lehrpläne und Lehrmittel für den albanischen HSU entwickelt. Gleichzeitig wuchs die Anzahl der Albaner/innen in der Diaspora wegen des Kriegs in Kosova und wegen der Flüchtlinge aus der Republik Albanien derart an, dass gegenwärtig rund ein Drittel aller Albaner/innen in der Migration lebt.
Die Ziele des albanischen HSU – ursprünglich vor allem Sicherstellung der schulischen Re-Integration nach der Rückkehr in die Heimat – haben sich seither stark gewandelt und lassen sich wie folgt bestimmen:
- Wahrung der kulturellen und sprachlichen Herkunftsidentität auch im neuen Land.
- Unterstützung der Integration in die Gesellschaft des Einwanderungslandes durch eine gut entwickelte bikulturelle Identität und interkulturelle Kompetenz.
- Erleichterte Integration in der Herkunftskultur im Falle einer Rückkehr.
Lehrpläne, juristischer Status, Anzahl einbezogener Schüler/innen
Von albanischer Seite her sind die maßgeblichen Dokumente zum HSU das «Curriculum für den albanischen Ergänzungsunterricht in der Diaspora» (herausgegeben 2007 vom Bildungsministerium von Kosova), 19 Hefte mit Unterrichtsmaterialien (je 6 für Unter-, Mittel- und Oberstufe bzw. Niveau I–III und eines für die Vorschule, entstanden in Kooperation mit der PH Zürich 2010–13) sowie das Unterrichtsprogramm und die drei Stufenlehrmittel, die die Republik Albanien von 2010–2012 herausgegeben hat.
Seitens der Einwanderungsländer gibt es diverse Grundlagen- und Rahmeninstrumente zum HSK, die sich meistens auf allgemeine Prinzipien, Bereiche etc. beschränken. Dokumente dieser Art haben u. a. Schweden, Österreich, einige deutsche Bundesländer und schweizerische Kantone entwickelt, wobei der Zürcher «Rahmenlehrplan für Heimatliche Sprache und Kultur» (2011) wohl das prägnanteste dieser Instrumente ist. Manche Staaten haben sogar Unterrichtsmaterialien und Lehrbücher in albanischer Sprache produziert, so etwa Schweden und Österreich (vgl. http://modersmal.skolverket.se/albanska, http://www.schule-mehrsprachig.at/index.php?id=47).
Was den juristischen Status des HSU in den verschiedenen Ländern betrifft, gibt es ein breites Spektrum. Es reicht von weitgehendem Fehlen jeglicher staatlichen Rücksichtnahme gegenüber den Herkunftssprachen und -kulturen bis hin zu expliziter und gelungener Integration des HSU ins Schulsystem des Einwanderungslandes. In Abhängigkeit davon lassen sich, grob gesagt, folgende drei Organisationsformen des HSU unterscheiden:
- Integration des HSU ins Schulsystem (z. B. Finnland, Schweden, einige deutsche Bundesländer).
- Partielle Integration (z. B. einige Schweizer Kantone).
- Andere Formen, z. B. Beschränkung der Kooperation auf bestimmte interkulturelle Projekte, bis hin zu kompletter Selbstorganisation durch albanische Kultur- oder Bildungsvereine (z. B. Italien, Griechenland, Großbritannien, Belgien).
Während also in einigen Staaten der HSU (inkl. Entlöhnung der Lehrer/innen) vollständig ins Schulsystem integriert ist und auch zum Gegenstand pädagogischer und linguistischer Studien wird, sieht es vielerorts anders aus: Der HSU wird als freiwilliges Angebot betrachtet, seine Organisation und Bezahlung wird den Kultur- oder Bildungsvereinen der betreffenden Sprachgruppe überlassen, die meistens keine professionelle Qualität erreichen können und nur eine begrenzte Zahl von Schüler/innen ansprechen können. Meistens sind bei diesem Typus auch die Weiterbildungsmöglichkeiten der HSU-Lehrer/innen minimal oder inexistent, beschränken sich die Kontakte zu den staatlichen Lehrer/innen auf ein Minimum und sind Status und Arbeitszufriedenheit der HSU-Lehrer/innen gering.
Zu sagen ist aber auch, dass es bisher weder Kosova noch Albanien gelungen ist, diese Situation durch bilaterale Absprachen mit den Einwanderungsländern oder durch eigene finanzielle Beiträge zu verbessern.
Interessant ist, dass in jenen Staaten, die den HSU ins reguläre Schulsystem integriert haben, gleichzeitig auch der Schulerfolg der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im regulären Schulsystem sichtbar zugenommen hat: dies sicherlich als Folge der verbesserten Integration und interkulturellen Kompetenz. In diesem Sinne ist es kein Zufall, dass sich z. B. an den Universitäten von Schweden, Österreich oder Nordrhein-Westfalen viel mehr albanische Angehörige der zweiten Generation von Zuwanderern finden als an jenen von Paris, Brüssel, Rom oder Athen, wo der albanische HSU ein Schattendasein führt. Es besteht kein Zweifel, dass der HSU eine wichtige Hilfe beim Aufbau der Schulkarriere darstellen kann.
Gemäß den statistischen Angaben des Bildungsministeriums von Kosova besuchen rund 30‘000 albanische Schüler/innen den albanischen HSU. Dies sind nicht mehr als 2% aller albanischen Schulpflichtigen in der Diaspora. Bemerkenswert ist die Verteilung auf die Länder: Den höchsten Prozentsatz von HSU-Besuchenden weist Finnland auf (integrierter HSU; gegen 80%). Es folgen Schweden (70%), Österreich (50%), Deutschland (10%, mit starken Schwankungen zwischen den Bundesländern), die Schweiz (gut 8%) etc. Nicht zu vergessen ist, dass in einigen europäischen Staaten, trotz beträchtlicher albanischer Migration, aus diversen Gründen überhaupt kein HSU angeboten wird.
Offene Problematiken
Von wissenschaftlicher (interkultureller, didaktischer, linguistischer und psychologischer) Seite her steht die Bedeutung des HSU außer Frage. Dennoch ist die Erarbeitung eines theoretischen Fundaments und von brauchbaren didaktisch-methodischen Wegleitungen für diesen Unterricht vielerorts durch seinen unsicheren juristischen Status (freiwilliges Angebot) und durch die ungünstigen Umstände seiner Durchführung (Randzeiten, schlechte Entlohnung, wenig Weiterbildungsangebote etc.) massiv erschwert. Dazu kommen die zunehmende Belastung der Regelcurricula durch neue Fächer und Aufgaben und der Kampf um die Freizeit der Schüler/innen, den verschiedenste Anbieter führen.
Wegen der geringen Anzahl von Schüler/innen muss der Unterricht zudem oft im Mehrklassensystem mit Gruppen durchgeführt werden, die hinsichtlich Alter, Sprachkompetenz, familiärem Hintergrund etc. stark heterogen sind. Die Arbeit als Lehrer/in in solchen Klassen ist extrem anspruchsvoll und verlangt nach einer Vorbereitung und nach Qualifikationen, die weit über die reguläre Ausbildung hinausgehen.
Nur wenn die HSU-Lehrer/innen vom Herkunfts- wie auch von den Einwanderungsländern nicht nur institutionell (bessere Integration ins reguläre Schulsystem, angemessene Entlohnung etc.), sondern auch weiterbildungsmäßig tatkräftig unterstützt werden – z. B. in der Aneignung und Umsetzung von Prinzipien des individualisierenden, des spielerischen und des digitalen Lernens –, nur dann wird sich der HSU als attraktives und wichtiges Angebot durchsetzen können.