Nicht nur die Volksschule, auch der herkunftssprachliche Unterricht (HSU) verfolgt das Ziel, alle Schüler/innen in der Entwicklung ihrer Identität zu unterstützen. Die Entwicklung der eigenen Identität und die Auseinandersetzung mit ihr bedingen einen lebenslangen und spannungsvollen Dialog des Individuums mit sich und der Umwelt. In einem multikulturellen und mehrsprachigen Kontext sind die Schüler/innen angesichts der Pluralität der Lebenswelten, der sozioökonomisch ungleichen Lebenslagen und der unterschiedlichen Wertvorstellungen ganz besonders gefordert, wenn es darum geht, ihre Identität zu behaupten und sich als selbstwirksam zu erleben. Die HSU-Schüler/innen können sich dabei weder der Auseinandersetzung mit ihrem Minderheitenstatus und ihrer kulturellen Herkunft entziehen, noch können sie ihre kulturellen Eigenheiten verleugnen. In den ständigen Aushandlungsprozessen zwischen sich und ihrer Lebenswelt sind sie einerseits auf gesellschaftliche Anerkennung angewiesen, andererseits auf Räume und Orte der Sicherheit und Identifikation, wo sie Erfahrungen des Ausgeschlossenseins thematisieren und sich ihrer Identität versichern können.

Der HSU kann den Schüler/innen helfen, ihre vielfältigen Erfahrungen zu reflektieren und zu verarbeiten. Er kann damit einen wichtigen Beitrag leisten, wenn es um die Entwicklung von Offenheit und Toleranz im Umgang mit kultureller Vielfalt in der Schule und in der Gesellschaft geht. Wenn dieser Prozess gelingt, werden die Schüler/innen unterstützt, Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und Solidarität zu machen und ihre persönlichen Stärken und Fähigkeiten zu entdecken. Dabei lernen sie, ihre ethnischen und mehrsprachigen Kompetenzen und Potenziale als Teil ihrer (bi-)kulturellen Identität wahrzunehmen und wertzuschätzen. Sie setzen sich mit den vielfältigen eigenen Zugehörigkeiten und kulturellen Hintergründen auseinander, machen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede bewusst und entdecken dadurch auch ihre Einzigartigkeit und Individualität. Aufgrund der Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb der Gruppe lernen sie ihre transnationalen Zugehörigkeiten als eine Selbstverständlichkeit der globalisierten Weltgesellschaft kennen. Zugleich unterstützt diese Anerkennung und Wertschätzung der Identitäten aller Schüler/innen mit ihren je unterschiedlichen sozialen und kulturellen Persönlichkeitsanteilen das Zusammenleben und das gemeinsame Lernen in der Klasse.

Die folgenden sieben Unterrichtsvorschläge leisten einen Beitrag zur Förderung der Wahrnehmungs-, Reflexions- und Handlungskompetenz im Rahmen des HSU. Den Ausgangspunkt bilden stets die Identitätserfahrungen, Ressourcen und Potenziale der Schüler/innen selbst. Eine wichtige Rolle spielt natürlich auch die Lehrperson mit ihren Selbst- und Fremderfahrungen, die sie als Ressource zur Vorbereitung und Durchführung des Unterrichts einbringt.

Welche Teilkompetenz in welcher Einheit im Vordergrund steht, ist aus der Übersicht am Schluss des Buches ersichtlich. Die Zuordnungen zu Klassen und Stufen sind weit gefasst; die meisten Vorschläge können mit leichten Anpassungen auch auf der oberen oder unteren Stufe umgesetzt werden.


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