Zu den Charakteristika des herkunftssprachlichen Unterrichts zählen die Heterogenität der Schüler/innen und die Tatsache, dass viele Schüler/innen beträchtliche Probleme mit den anspruchsvolleren, insbesondere mit den literalen Facetten ihrer Erstsprache haben. Für das Schreiben im herkunftssprachlichen Unterricht ergeben sich daraus einige zusätzliche Punkte mit besonderer Bedeutung.

a) Einführung ins Schriftsystem der Erstsprache

Schüler/innen, die nicht im Herkunfts-, sondern im neuen Land alphabetisiert worden sind, müssen sorgfältig in das Laut- und Zeichensystem (Phoneme, Grapheme) der Erstsprache eingeführt werden. Bei Sprachen, die mit dem lateinischen Alphabet geschrieben werden, betrifft dies vor allem jene Buchstaben, die in der Schulsprache nicht bekannt sind (z. B. ë, ç, ı). Um Verwirrungen zu vermeiden, führen manche Lehrpersonen diese Buchstaben erst nach Abschluss der Alphabetisierung in der Schulsprache ein (Ende 1., Anfang 2. Klasse). Bei nicht-lateinischen Alphabeten besteht weniger Verwechslungsgefahr mit der Schulsprache, dafür muss die ganze Alphabetisierung in der Erstsprache aufgebaut werden.

b) Auf- und Ausbau eines differenzierten Wortschatzes in der Erstsprache

Viele Schüler/innen in der Migration haben beträchtliche Lücken im Wortschatz der Erstsprache. Sie beherrschen diese vor allem mit Bezug auf familienbezogene Themen und im Dialekt. Für alles andere – insbesondere für schulbezogene oder anspruchsvollere Themen – verwenden sie die Schul- oder Umgebungssprache des Landes, in dem sie aufwachsen. Der Wortschatz dieser Kinder und Jugendlichen zerfällt damit in zwei Teile, was der Entwicklung umfassender bilingualer Kompetenzen natürlich entgegenläuft. Ein wichtiges Ziel des herkunftssprachlichen Unterrichts muss deshalb der Aufbau eines entwickelten, differenzierten Wortschatzes sein, der auch die standardsprachlichen Formen umfasst. Zu unterscheiden sind dabei Wörter, die die Schüler/innen aktiv beherrschen sollen (aktiver oder Produktions-Wortschatz, dieser muss intensiv trainiert werden und soll vor allem gebrauchshäufige Wörter umfassen), und Wörter, die die Schüler/innen verstehen, aber nicht unbedingt selbst verwenden müssen (rezeptiver oder Verstehenswortschatz). Der wichtigen Bedeutung der Wortschatzarbeit entsprechen in der vorliegenden Handreichung die vielfältigen Anregungen in Nr. 14 und 15.

c) Hinführung zur Standardsprache

Neben dem eingeschränkten Wortschatz ist ein Charakteristikum vieler Schüler/innen in der Migration, dass sie ihre Erstsprache (fast) nur in einer dialektalen, nicht aber in der schrift- oder standardsprachlichen Variante beherrschen. Zu den Aufgaben des herkunftssprachlichen Unterrichts zählt deshalb eine sorgfältige Hinführung zur Standardvariante, deren Beherrschung Voraussetzung für den Zugang zu Geschriebenem und für das eigene korrekte Schreiben ist. Wichtige Prinzipien dieser Hinführung (die vom ersten Schuljahr an beginnen kann) sind:

  • 1) Sorgsamkeit: Die Freude der Kinder am Schreiben ist prioritär und darf nicht durch eine übertriebene Normorientierung zerstört werden.
  • 2) Ein vergleichender, entdeckender Ansatz: Statt einer nur normativen Vermittlung sollen die Unterschiede zwischen Standardsprache und Dialekt wo immer möglich durch entdeckendes und vergleichendes Lernen bewusst gemacht werden.
  • 3) Viele geeignete Trainingsgelegenheiten: Was mit Bezug auf die Standardsprache vermittelt wurde (Wortschatz, Grammatik), muss z. B. im Rahmen geeigneter Schreibanlässe ausreichend wiederholt und geübt werden, damit es wirklich verinnerlicht wird.

d) Scaffolding: Stützstrukturen/«Gerüste» für sprachschwächere Schüler/innen bereitstellen

Schulischer Sprachgebrauch greift in vieler Hinsicht (Wortschatz, Standardsprache etc.) auf komplexere sprachliche Mittel zurück als die Alltagssprache. Die Hinführung zu dieser «Bildungssprache», mit der sich auch Textkompetenz verbindet (die Kompetenz, mit geschriebenen Texten produktiv oder rezeptiv umzugehen), ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Ein im Unterricht von Deutsch und Deutsch als Zweitsprache hierbei sehr aktuelles und erfolgreiches Verfahren ist das bereits erwähnte Scaffolding. Dieses Vorgehen eignet sich ausgezeichnet auch für den herkunftssprachlichen Unterricht. Die Schüler/innen erhalten hier zu bestimmten Aspekten (z. B. Wortschatz, Satzkonstruktionen, Textaufbau) zunächst als Hilfestellung ein Gerüst (bzw. ein Muster oder eine Struktur), an dem sie sich orientieren können. Dies kann z. B. ein Aufbauschema wie bei den «Elfchen-Gedichten» sein (vgl. Nr. 21.1), das übernommen und mit eigenen Worten gefüllt wird. Oder es werden Text-Bausteine bzw. Elemente für bestimmte Teile eines Textes vorgegeben (z. B. Satzanfänge oder geeignete Verben für eine Bildergeschichte), mit denen die Schüler/innen ihren eigenen Text schreiben bzw. zusammensetzen. Oder es werden genau die Schritte angegeben, mit denen ein einfacher Text (z. B. ein Rezept oder eine Anleitung) gebaut werden soll. In allen Fällen werden die Schüler/innen durch das «Gerüst» von einem Teil der sprachlichen Aufgaben (z. B. vom Textaufbau) entlastet, indem sie die Vorgaben nutzen können. Da sie dabei automatisch korrekte Muster, Wörter und Wendungen übernehmen und anwenden, erweitern sie ihr sprachliches Repertoire in eigenaktiver Weise. Viele Unterrichtsvorschläge v. a. in Teil III (Anregungen zur Förderung von Teilaspekten des Schreibens) stellen einfache Variationen von Scaffolding dar (vgl. z. B. 14.1: Wortfelder, 15.2: Ersatzprobe, 16.3: Paralleltexte).

Für weitere Informationen zum Scaffolding: vgl. u. a. https://www.uni-due.de/imperia/md/content/prodaz/scaffolding.pdf

e) Bemerkungen zur Rechtschreibung

Rechtschreiberegelungen und -probleme sind zumindest teilweise sprachspezifisch, weshalb wir im Rahmen der vorliegenden Handreichung nicht auf sie eingehen. Als generelle Prinzipien für ein effektives Rechtschreibetraining können immerhin die folgenden genannt werden:

  • 1) Grundwortschatzorientierung: Der Aufbau eines Rechtschreibewortschatzes wie auch die Fehlerkorrektur sollen sich an der Gebrauchshäufigkeit der Wörter orientieren. Je häufiger ein Wort, desto wichtiger ist es, seine korrekte Schreibweise zu kennen.
  • 2) Selektive Korrektur: Alle Fehler anzustreichen, führt primär zu Entmutigung. Sinnvoller ist es, die drei bis fünf wichtigsten Fehlertypen oder Einzelfehler herauszugreifen und zu diesen ein effizientes, mehrteiliges Training zu planen.
  • 3) Sinnvolle Verbesserungen, mehrteiliges, nachhaltiges Training: Das traditionelle dreimalige korrekte Abschreiben eines falschen Wortes bringt lernpsychologisch nichts. Sinnvoll und effektiv sind nur Trainings- und Verbesserungsformen, bei denen die ausgewählten Wörter in mehreren, zeitlich auf 2–3 Wochen verteilten Sequenzen geübt werden.
  • 4) Hilfe zur Selbsthilfe: Eine gründliche Einführung in die Handhabung der Rechtschreibewörterbücher ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass die Schüler/innen diese Hilfsmittel auch nutzen können.

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