1. Djordje Damjanović: Mein Start als HSU-Lehrer in Wien
Djordje Damjanović stammt aus Bosnien/Herzegowina. Er lebt seit 22 Jahren in Wien und ist dort fast ebenso lange als HSU-Lehrer für Bosnisch/Kroatisch/Serbisch tätig.
Bevor ich nach Österreich kam, erwarb ich das Diplom für Technisches Werken (TW) in Kroatien und unterrichtete dieses Fach in Zagreb. Ich musste Jugoslawien wegen des Krieges verlassen und kam 1992 nach Wien. Mein erstes Jahr als Lehrer für Flüchtlingskinder in Wien war in vieler Hinsicht ähnlich oder sogar gleich wie für meine Schüler/innen. Ich war Flüchtling, sie waren es auch. Ich wollte nicht herkommen, sie auch nicht – wir mussten es. Sie konnten kein Deutsch – ich auch nicht. Zufällig trafen wir uns im Klassenzimmer.
Ich war an einer Hauptschule angestellt und wurde nur bezüglich meiner Qualifikationen für das Fach TW geprüft. Dann wurde mir aber gesagt, dass ich auch österreichische Geschichte und Geografie und anderes unterrichten soll – in der Muttersprache meiner Schüler/innen. Trotz meiner schlechten Deutschkenntnisse hatte ich nur österreichische Schulbücher zur Verfügung. Bei der Unterrichtsvorbereitung hatte ich damals in kürzester Zeit selber so viel gelernt wie nie zuvor. Wir waren alle Lernende. Als Seiteneinsteiger gingen meine Schüler/innen ihren Weg, und viele von ihnen machten schließlich sogar eine universitäre Karriere.
Bereits im nächsten Schuljahr übernahm ich die Aufgabe eines echten HSU-Lehrers, der sich um den Erhalt der Muttersprache kümmern sollte. Ich erteilte muttersprachlichen Unterricht sowohl in der integrativen als auch in der kursorischen Variante. Die grössten Herausforderungen waren, dass meine Schüler/innen über höchst unterschiedliche Kompetenzen in der Muttersprache verfügten und dass es praktisch keine Unterrichtsmaterialien gab. Nur mit Hilfe und Unterstützung von Teamkolleg/innen, des Stadtschulrats, des Bundesministeriums für Unterricht und aufgrund unserer guten Vernetzung konnten wir unsere Aufgaben einigermaßen erfüllen. In kürzester Zeit war sogar jenen Kolleg/innen, die dem muttersprachlichen Unterricht skeptisch gegenübergestanden hatten, klar, dass sie mich nicht nur in der Klasse und in der Schule, sondern auch bei der Elternarbeit und Kommunikation mit der Migrantencommunity brauchen konnten.
Mehrsprachige Klassen brauchen auch mehrsprachige Lehrer/innen. Nach 20 Jahren ist es nun so weit, dass mit mir zusammen meine ehemaligen Schüler unterrichten!
2. Hyrije Sheqiri: HSU-Lehrer/in sein: Eine Aufgabe mit Stolz und Verantwortung
Hyrije Sheqiri stammt aus Kosovo/Kosova. Sie lebt seit 1995 in Schweden, wo sie in Ronneby, Karlskrona und seit 2007 in Karlshamn für den albanischen HSU verantwortlich war bzw. ist.
Die Erinnerung an meine erste Zeit als HSU-Lehrerin in Schweden ist aus verschiedenen Gründen mit starken Emotionen verbunden. Zum einen war dies die Zeit des Kriegs in Kosova. In den Flüchtlingslagern waren viele albanische Kinder. Auch wenn die meisten keine Aufenthaltsbewilligung hatten, wurde ihnen das Recht auf Schulbesuch und auf Unterricht in der Muttersprache zugestanden. Viele waren vom Krieg und der Vertreibung traumatisiert; Schwedisch konnte keines von ihnen. Die Verständigung mit der neuen Gesellschaft und Schule war für sie extrem schwer, dazu kamen alle die neuen Bräuche und Sitten, mit denen sie nicht vertraut waren. Kein Wunder, dass sie gerne in den muttersprachlichen Unterricht kamen und dass ich nicht nur ihre Lehrerin war, sondern auch ein bisschen ihre Mutter, ihre Ratgeberin, ihre Schwester, Psychologin und Übersetzerin! Kurz: Ich repräsentierte für sie ihre Sprache, ihre Kultur und Heimat. Und all das – ihre Liebe, ihren Schmerz, ihre Sorgen und ihre Wunden – bekam ich vollumfänglich mit. Im Zentrum blieb bei alledem meine Rolle als Muttersprachlehrerin, der ich mit großem Einsatz nachkam. Diese Arbeit war streng, ermüdend und verantwortungsvoll, aber auch schön und befriedigend.
Einen besonderen Aufwand bedeutete die Herstellung von Unterrichtsmaterial, das sich erstens für den albanischen HSU eignete und zweitens mit dem schwedischen Lehrplan kompatibel war (der HSU ist in Schweden Teil des regulären Unterrichts und untersteht dessen Lehrplänen). Als Muster für die Unterrichtsmaterialien, die wir produzierten, nahmen wir meistens schwedische Schulbücher und Materialien. Diese für unsere Bedürfnisse und Ziele zu adaptieren war anstrengend und verlangte Professionalität. Die entsprechenden Kompetenzen erwarben wir uns vor allem im täglichen und engen Kontakt mit den schwedischen Lehrerkolleg/innen, aber auch in der Zusammenarbeit mit HSU-Lehrer/innen anderer Sprachgruppen.
3. Birsen Yılmaz Sengül: Vieles war für mich anders …
Birsen Yılmaz Sengül stammt aus der Türkei. Sie lebt seit drei Jahren in Nürnberg, wo sie als HSU-Lehrerin für Türkisch tätig ist.
Vieles war für mich anders im Vergleich zum Unterricht in der Türkei!
Jede Klasse bestand aus Schülern und Schülerinnen unterschiedlicher Altersgruppen. Der muttersprachliche Türkischunterricht fand nachmittags statt, nach dem «normalen» Unterricht. Deshalb hatten manche Kinder Hunger und konnten sich nicht gut konzentrieren. Viele hatten auch einfach keine Lust, sich nach fünf bis sechs Stunden Unterricht nochmals zusammenzureißen und noch zwei Stunden Türkisch zu lernen.
Die Teilnahme am HSU war und ist freiwillig. Dies hat zur Folge, dass viele Schüler/innen nur unregelmäßig oder gar nicht teilnehmen. Viele wollen lieber mit ihren Freunden draußen spielen oder im Hort Spaß haben. Aber auch bei denen, die kamen, ließ das Niveau sehr zu wünschen übrig. Der Grund ist, dass zu Hause oft kaum in der Muttersprache gesprochen wird, und wenn, dann in sehr unkorrekter Weise. Viele Eltern können selbst nicht richtig Türkisch und beherrschen nicht einmal die Umgangssprache richtig, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind.
Da der HSU fakultativ und nicht notenrelevant ist, waren die Motivation und das Engagement der meisten Schüler/innen gering. Deshalb versuchte ich, das Interesse auf spielerische Art zu steigern. Jedes Mal machte ich die ersten 15 Minuten einen spielerischen Einstieg und versuchte so, eine Art sanfte Einführung ins Türkische zu gestalten. Dazu suchte und erfand ich verschiedene Spiele, mit denen die Kinder die türkische Sprache besser verstehen und verwenden lernen. Mit der Zeit habe ich es auf diese Weise geschafft, dass die Motivation gestiegen ist, die Teilnahme regelmäßiger wurde und schließlich sogar mehr Schüler/innen in den HSU kamen.
Ein anderes Problem war und ist, dass wir hier nicht als richtige Lehrer/innen angesehen wurden. Weder von den Eltern noch von den Schüler/innen, und manchmal auch nicht von den bayrischen Lehrer/innen. Ich wurde auch schon gefragt, ob ich überhaupt eine richtige Lehrerin sei oder bloß jemand, der einmal pro Woche einen Türkischkurs gibt. Der Grund für diese Geringschätzung liegt wohl primär darin, dass wir offiziell keine Noten vergeben dürfen, respektive, dass unsere Noten für das offizielle Zeugnis belanglos sind. Dementsprechend ist auch die Teilnahme der Eltern an der Elternsprechstunde sehr gering. Aber auch ein Teil der Klassenlehrer/innen betrachtet den HSU als unwichtig. Manche empfehlen den Eltern ausdrücklich, ihr Kind nicht in diesen Unterricht zu schicken, weil es sonst die Sprachen durcheinanderbringe.
Weitere Probleme, die ich von der Türkei her nicht kannte, sind z. B. die sehr unterschiedlichen Sprachkenntnisse der Schüler/innen. So kann es vorkommen, dass ein Schüler in der fünften Klasse sprachlich das Niveau eines Zweitklässlers hat. Wir haben zwar vom türkischen Staat zur Verfügung gestellte Lehrmittel, es ist aber sehr schwierig, diese an ein so heterogenes Leistungsspektrum anzupassen. Neu war für mich auch, dass ich jeden Tag an verschiedenen Schulen unterrichten muss. Dadurch ist es sehr schwierig, Kontakte zu den deutschen Lehrer/innen aufzubauen. Ein Problem war am Anfang natürlich auch, mich überhaupt im ganz anderen Schulsystem von Deutschland zu orientieren und dessen Aufbau zu verstehen.
4. Hazir Mehmeti: Alte und neue Herausforderungen
Hazir Mehmeti stammt aus Kosovo/Kosova. Er lebt seit 17 Jahren in Wien, wo er seit 1999 an verschiedenen Schulen als Lehrer des albanischen HSU arbeitet.
Als ich in Wien als HSU-Lehrer begann, hatte ich viele kriegsvertriebene Kinder und Jugendliche in meinen Klassen. Neben den Problemen und Traumata, die die politische Situation mit sich brachte, gab es auch einige methodisch-didaktische Schwierigkeiten. So waren meine damaligen Schüler/innen von der Heimat her an eine im Vergleich zu Österreich andere und viel einfachere Unterrichtsmethodik gewöhnt. Fächerübergreifende Aktivitäten und handelndes, konkretisierendes Lernen waren ihnen unbekannt, sie waren vor allem an den passiven Konsum von Frontalunterricht in großen Klassen gewöhnt.
Hier in Österreich ist der Kontakt zu den Schüler/innen ganz anders und sind Möglichkeiten gegeben, mit den Kindern individuell zu arbeiten und auf sie einzugehen. Ich selbst lernte diese anderen Ansätze, Schwerpunkte und Methoden vor allem in Seminaren kennen, wie sie hier für die HSU-Lehrer/innen angeboten werden. Dies war ein wichtiger Beitrag zu meiner eigenen Integration als Lehrer in Österreich. Ein wichtiges Element stellte und stellt dabei der Erfahrungsaustausch mit Kolleg/innen dar.
Eine ganz besondere Herausforderung war das Arbeiten im «Mehrklassensystem», mit Schülergruppen aus verschiedenen Alters- und Niveaustufen. Das Lehren in solchen heterogenen Klassen verlangt eigene Methoden und pädagogische Prinzipien, eine spezifische, aufwendige Unterrichtsplanung und eine Menge Kreativität. Am beliebtesten war und ist bei den Schüler/innen der Ansatz des Lernens durch Spielen, was einfacher klingt als es ist, und immer noch eine Herausforderung bleibt.
Verfahren, die sich bewährt haben, sind z. B. das zweisprachige Lernen, welches das bessere Verständnis fördert; sodann das Lernen durch Musik und die Methode des Rollenspiels, mit der ich in verschiedener Hinsicht gute Erfahrungen gemacht habe. Bei der Beschaffung von Unterrichtsmaterialien beziehe ich heute die Schüler/innen stark ein (Internet- und Bibliotheksrecherchen) und nutze selber das Internet auf Albanisch und Deutsch.
5. Valeria Bovina: Heiße Tipps für HSU-Neulinge
(Vgl. auch Kap. 12)
Valeria Bovina stammt aus Bologna/Italien. Seit 2009 arbeitet sie in Zürich als Lehrerin des italienischen HSU.
Das erste Jahr als Lehrer/in in einem neuen Land, in einem neuen Schulsystem, in einer neuen Schulkultur, in neuen Strukturen – ist schwierig! Ich habe versucht, meine diesbezüglichen Erfahrungen in Zürich etwas zu systematisieren und aus ihnen eine Reihe von Empfehlungen abzuleiten. Vielleicht helfen sie Kolleginnen und Kollegen, die neu zuziehen oder beginnen, den Einstieg in die anspruchsvolle, aber schöne Arbeit als HSU-Lehrer/in etwas sanfter zu gestalten.
Tipps zum Umgang mit der Schulleitung (und, je nach Struktur, mit den Schulbehörden)
- einen Termin abmachen, um sich vorstellen zu können
- Bereitschaft und Interesse für Kooperation signalisieren
- nach dem Ferienplan der Schule und nach internen Terminen (Sporttage, Lager, Weiterbildungen etc.) fragen
- sich über schulhausinterne Sitten und Bräuche informieren (Lehrerzimmer; Kaffeeautomat, Türen schließen …)
- sich über organisatorische und infrastrukturelle Fragen informieren (wo kann man kopieren, wie müssen die Zimmer hinterlassen werden etc.)
- sicherstellen, dass adäquate Schulräume zur Verfügung gestellt werden (manchmal werden dem HSU ungeeignete Räume zugewiesen, weil «ausländische» Kinder alles berühren und Lärm machen …)
- im Konfliktfall Kontakt mit der Koordinationsstelle des eigenen HSU (Konsulat, Lehrerverein …), mit den lokalen Bildungsbehörden oder mit der Gewerkschaft suchen
Tipps zum Umgang mit dem Hausdienst
(Der/die Leiter/in des Hausdienstes ist oft eine zentrale Persönlichkeit im Schulhaus, keinesfalls nur ein untergeordneter Angestellter!)
- einen Termin abmachen und sich vorstellen
- sich über die Hausordnung informieren und diese beachten (welche Regeln gelten punkto Pausenhof, Spielgeräte, Essen und Trinken im Zimmer, Abfall …)
- die Schlüssel der Schule in Empfang nehmen und verantwortungsvoll aufbewahren
- sich entschuldigen, wenn etwas schiefging …
Tipps zum Umgang mit den Lehrer/innen des regulären Unterrichts
- sich z. B. im Lehrerzimmer oder bei einer Schulkonferenz vorstellen, Kontakte suchen und knüpfen
- Bereitschaft und Interesse für Kooperation signalisieren
- zeigen, dass man der Schule als Spezialist/in für eine bestimmte Sprache und Kultur zur Verfügung steht
- sich nicht entmutigen lassen, wenn manche einheimischen Lehrer/innen anfangs zurückhaltend und distanziert sind oder wenn man den Eindruck hat, «unsichtbar» zu sein
- nach schulhausinternen Usancen fragen (Kaffeeautomat, Kopierer etc.)
- versuchen, Funktion und Bedeutung des HSU zu erklären und Interessierte zu einem Austausch und gegenseitigen Schulbesuchen einzuladen
Tipps zum Umgang mit den Eltern
- durch Gespräche und Elternabende (mindestens zwei pro Jahr) einen guten Kontakt pflegen
- Inhalt, Ziele und Vorgehen des eigenen Unterrichts präsentieren
- wichtige pädagogische und didaktisch-methodische Punkte erläutern
- Rolle von Eltern und Lehrer/in (= Fachperson für Unterricht!) klären
- trotz eventueller Kritik fair, ruhig, offen, aber auch klar und bestimmt bleiben
Tipps zu Weiterbildung und kulturellen Ange-boten
- sich über die lokalen Weiterbildungsangebote informieren und diese nutzen (Angebote der Pädagogischen Hochschulen, der Bildungsdirektionen etc.; Auskunft kann evtl. die Schulleitung geben)
- evtl. Kurse zur besseren Beherrschung der Landessprache besuchen (wichtig für Integration und Kooperation!)
- sich über das kulturelle Leben am neuen Wohnort informieren (Kulturprogramm, Museen, Bibliothek, Vereine, Veranstaltungen, Angebote für Schüler/innen …)
Vor und nach dem Unterricht …
- mindestens 10 Min. vor dem Unterricht im Schulzimmer sein (Zeit reservieren, um alles bereitzulegen und vorzubereiten)
- nach dem Unterricht unbedingt alles wieder so herrichten und aufräumen, wie es vorher war (Wandtafel, Tische, Boden …)